Basisdemokratie funktioniert, weil wir sie nicht machen.
Mein lieber Freund T.,
vorab ist es mir wichtig zu sagen, dass ich jedes Mal zusammenzucke, wenn ich einen Brief bekomme (elektrisch oder nicht), der mit ‚Mein lieber Stefan‚ anfängt. Dann fühle ich mich immer wie ein Kleinkind angesprochen, klein gemacht. Daher ist es mir wichtig, Dich nicht zucken zu lassen. Du bist lieb ein Guter. Was uns verbindet ist aus meiner Sicht sehr freundschaftlich. True. Und ein wenig groß.
Auf Facebook diskutieren wir derzeit mit ein paar anderen. Mitten im Diskussionsbrei: Markus Lanz, Online-Petitionen und Basisdemokratie.
Ich habe die Entwicklung unseres Diskurses so in Erinnerung …
Markus Lanz ist für mich ein respektloser und eindimensionaler Mensch, der nicht annähernd die Klasse aller anderen Moderatoren im TV hat. Zumal er überhaupt nicht unterscheiden kann, wann es sich zurückzuhalten gilt und wann gebissen werden darf.
Deswegen sage ich bereits seit einiger Zeit: Der gute Kerl sollte nicht auf Kosten der GEZ-Zahler weitermachen. Den wesentlichen Impuls gab mir die Sendung, in der er zwingend versuchte, Marina Weisband vorzuführen. Widerlich.
Diese eine Petition wurde vor einigen Tagen ins Leben gerufen. Ich unterstützte sie mit meiner Stimme und kurze Zeit später stehst auch Du argumentativ auf der Matte. Sinngemäß sagst Du: Petitionen gegen einen Einzelnen sind Hetze, das ist nicht nett und vor allen Dingen nicht sozial konstruktiv. Dem stimme ich zu.
Ich entgegne ergänze quasi: Die Petition geht nicht gegen einen einzelnen Markus Lanz, sondern gegen das ZDF, das Geld für Amateure ausgibt. Damit opfert das ZDF sogar sein bis dato unsinkbares Schiff. Wetten dass ..?! Ich bleibe bei der Frage: Warum macht das ZDF nichts? Welche unsichtbaren Qualitäten hat der derzeitige Moderator, die Oliver Welke, Bastian Pastewka, Anke Engelke, Stefan Raab, Wigald Boning, Harald Schmidt, Anne Will, Sarah Kuttner, Jürgen von der Lippe, Kai Pflaume, Joko und Klaas, Matthias Opdenhövel, Hella von Sinnen, Jörg Pilawa, Hugo Egon Balder und ein paar andere nicht haben?
Und dann Du heute …
Du lieferst das gute im Auto zugefallene Argument, dass Stuttgart 21 und andere Debakel aufzeigen und belegen, dass Basisdemokratie nicht immer der beste Weg ist. Diese hitzigen Sozialgroßbrände machten vor allen Dingen sichtbar, dass die gefühlte Mehrheit nicht immer die faktische Mehrheit ist.
Das stimmt!
Die Schweiz und deren Minarettstreit sind ein weiteres peinliches Beispiel für das Versagen von Basisdemokratie.
Und vor dem Moment, dass die gefühlte Mehrheit an die Macht kommt, haben vermutlich die meisten subtil Angst, die sich heutzutage gegen die Petition gegen die Beschäftigung von Markus Lanz im ZDF stemmen. Zu Recht.
Denn käme es so, säßen sicher einige Unschuldige im Knast, hätte kein Politiker länger als 48 Stunden einen Posten inne, wären wir gegen unzählige Länder (und sehr südliche Bundesländer) in den Krieg gezogen, wir hätten Mauern gebaut und wieder abgerissen, wir würden Michael Schumacher aufwecken und wieder ins Koma stecken und wieder aufwecken, wir würden alle freitags überhaupt kein Fleisch mehr bekommen aber ohne Ende und total legal Marihuana rauchen, um satt zu werden. Wir würden auch den Nachbarn das Kind wegnehmen, den Opa von gegenüber zwangseinweisen und die Straße sowieso für die Durchfahrt sperren. Die einen würden Dieter Bohlen aus dem TV verbannen und die anderen ihm sofort einen Dom bauen lassen. Es gäbe vermutlich auch sofort einen Mindestlohn von mindestens 25 Euro und alle Unternehmer würden mit leerem Koffer nach Hause geschickt. Für immer. Dort könnten Sie dann mit jeweils einem Lobbyisten und einem Politiker Skat spielen, weil die ja auch raus sind. Unser Land wird dann in Berlin von Liquid Snake regiert. Sofern Berlin dann noch Hauptstadt wäre und nicht bereits St. Pauli. Der FC Bayern München wäre zwangsenteignet, der FC Schalke 04 per Regelwerk immer genau einen Tabellenplatz über Borussia Dortmund.
Würden wir immer sofort abstimmen lassen, dürfte jeder Vater, der seine Tochter auf den Schoß nimmt, sofort erschossen werden (sogar von der Tochter selbst) und jede Mutter, die Ihr Kind hinter sich durch den Supermarkt schleift, bekäme lebenslangen Hausarrest. Im Vatikan. Das ist aber fiktiv, schließlich müsste jedes Kind per Gesetz Abstimmung in den ersten 18 Lebensjahren täglich Ritalin nehmen. Da kämen die Eltern aber nur sehr schwer dran, denn es gibt ja keine Autos mehr und die Apotheken – stellvertretend für den Einzelhandel – hätten willkürliche Öffnungszeiten während der Online-Handel verboten wäre, denn:
Mach kaputt, was dich kaputt macht.
Oder um es in ganz knappen Worten zu sagen:
Karl-Theodor zu Guttenberg wäre Bundeskanzler
Seinerzeit war ich dem Charme des Grinsemannes erlegen, konnte nicht wahrnehmen, dass die warme Luft, die er ausstieß nur angenehm warm und kuschelig war, aber eben doch nur Luft.
Es gab die Initiative Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg, die es übrigens immer noch gibt.
Und rate mal, lieber T., wer sofort draufgeklickt hat und damit sagen wollte:
Ja, hört auf ihn zu hetzen! Der ist doch toll.
Flux hatte ich ihm meine Stimme gegeben. Zu meiner Rettung habe ich ein paar mir wohlgesonnene Aufpasser da draußen, die mich wirklich(!) binnen Minuten wissen ließen, dass ich da Feuer von der falschen Fackel gefangen hatte. Ich konnte meinen Irrweg sogar noch vor der nächsten Kurve korrigieren. Was wäre passiert, wenn nicht?
Im Affekt hatte ich falsch entschieden.
Das könnte ja auch jederzeit einer großen Masse passieren, nicht wahr?
Ich habe ein Idee für ein Fazit
Es funktioniert doch.
Wir haben Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht. Hurra!
Onlinepetitionen sind ein prima Mittel um Meinungen zu versammeln.
Jede einzelne Stimme zählt zum Ganzen.
Doch sollen wir die gebündelten Stimmen auf die Waagschale legen und ihnen ein faktisches Gewicht geben?
Nein.
Die Legislative und Exekutive sind in unserer Parlamentarischen Demokratie ganz gut untergebracht. Was man daran kritisieren und verbessern kann, soll nicht Inhalt meines Briefes an Dich werden.
Will sagen …
Online-Petitionen sollten niemalsnicht exekutive Macht bekommen, kein wirksames Rechtsmittel sein und niemanden per Gesetz zu irgendetwas zwingen können.
Andererseits sollten diejenigen, die unser Land oder Fernsehprogramm (Unterschied?) lenken und steuern, die operativ und exekutiv tätig sind, die sollten nicht den Fehler machen, gebündelte Stimmen zu überhören oder diese sogar blöd in der nächsten Ausgabe von Wetten dass ..?! zu ignorieren, weil die ja eh nichts anrichten können und dürfen.
Die Macht der Stimmen des Volkes und der Crowd liegt offensichtlich nicht in den Möglichkeiten der Teilhabe an Entscheidungen und Gestaltung im Rahmen gegebener Gesetze, Regeln und Organisationen.
Aber die Macht der Stimme kann im Zweifel so laut werden, dass sie am Ende alles übertönt und dann verlieren Könige ihre Köpfe oder Erichs ihre Diktaturen oder Macher ihre Lust oder Blinde ihre Illusion.
Bis es so weit kommt gilt mein Tipp den wichtigen Gestaltern da draußen, dass sie jeder einzelnen Stimme mit Aufmerksamkeit und Achtsamkeit zuhören. Spätestens wenn ein Chor an Stimmen anschwillt, sollten sie deren Ideen und Visionen, Ärger und Wut, Forderungen und Wünsche respektvoll anerkennen. Um dann frei zu entscheiden. Denn das ist ihr Job.
Wir sind die Crowd, T.
Gut, dass wir eine Stimme haben dürfen.
Gut, dass wir uns versammeln dürfen.
Gut, dass wir unpopuläre Forderungen äußern dürfen.
Gut, dass derzeit intensiv über die Qualität im Fernsehen diskutiert wird.
Es funktioniert.
Dieser Teil sogar besser denn je.
Und was nun?
Die Petition gegen Markus Lanz im ZDF haben stand heute 232.400 unterzeichnet.
Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg sind aber nur 222.793 Klicker.
Was nun?
Mit gespannten und freundschaftlichen Grüßen
Stefan
PS: Von Markus Lanz habe ich bereits 2008 schon einmal geträumt. Mit Paula Abdul.
Ein Kommentar
Gerade durch die IronbloggerOWL gesurft.
Da ist viel dran was Du sagst Stefan. Im zusammenhang mit der Volksabstimmung in der Schweiz habe ich letztens mal laut drüber nachgedacht, warum eigentlich vor das Recht ein Kreuzchen zu machen nicht die Pflicht gesetzt wird, nachzuweisen, dass man sich nachweislich über pro und contra einer Frage informiert hat.
http://daslebenistmeinponyhof.digital-dictators.de/2014/02/10/volksabstimmung-schon-und-gut-aber/
Wenn man dann immer noch gar nicht oder nach Nase, Bauchgefühl oder Parteibuchfarbe entscheidet – OK. Aber wenigstens musste man sich mit dem Thema dann vorher auseinander setzen.