Über die blutrote Kunst, der beste Poetry Slammer von allen zu werden

Prolog

Am 17. Februar 2017, der Abend war bereits spät geworden, zog es mich noch ins Sputnik. Eine unserer, wie ich am Abend noch lernen würde, 5-Sterne-Deluxe-Kneipen in Paderborn.

Die vier Jungs von Pop & Dekonstruktion legten an diesem Abend wieder auf und boten damit die seit über 10 Jahren bekannt wunderbare Gelegenheit, Musik kennen- und hörenzulernen, die Spotify nicht kennt. Und umgekehrt.

Frederik

So betrat ich die kleine Eckkneipe, begrüßte die mir Bekannten und Freunde, bestellte mir ein alkoholfreies Hefeweizen und wartete alleine sitzend auf das was kommen sollte.

Zeit verging.

Das, was kam, war ein Er und hieß Frederik Hake, so erfuhr ich im anschließenden Gespräch. Wir kannten uns bis dahin nicht.

Ich ließ ihn erzählen: Er kam von einem Poetry Slam aus Wiedenbrück. Aha. Er war dort als Publikum, als Zuhörer, als Gast. Aha. Er fand es ganz gut. Nicht alles. Aber das geht ja auch nicht immer. Aha. Ja, so ist das beim Slam. Nicht immer sind alle top. Aha. Und, ja, er selbst ist auch Poetry Slammer. Soso. Kennst du meinen Bruder? Wen? Markus? Vielleicht. Kommt mir irgendwie bekannt vor. Marc? Katze? Na klar! Aha.

Marc und Markus moderieren die deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam (das war 2013)

In Kürze, so erzählte Frederik, stand ihm ein neuer Auftritt bevor. Ein weiterer Slam. Ein weiteres Messen mit den anderen. Gegen die anderen. Denn, so ließ er mich wissen, gäbe es derzeit an diesem einen Flori keinen Weg vorbei. Die einzige Chance, diesen übermächtigen Slambruder zu bezwingen, läge methodisch einzig und allein im Bereich der Bremsleitungssabotage.

Oh, Kurve! Schade, Flori. Slam!

Wir schwiegen.

„Du, Frederik, ich kenne Peotry Slam ja nur als Zuhörer. Vielleicht etwas besser, durch meinen Bruder, aber ich habe vielleicht eine echt gute Idee für einen Text. Willste wissen?“ fragte ich ihn schließlich.

„Na klar.“ schob er seine Brille etwas nach oben.

„Das mit der Bremsleitung. Schreib doch mal einen Text mit dem du dann vorträgst, dass du der beste Poetry Slammer bist, weil alle anderen nicht mehr da sind. Die hast du nämlich nach guter alter Sitte einen nach dem anderen eliminiert. Natürlich auf kreative Art und Weise. Jeden anders. Dabei zitierst du rünstig aus diversen Filmen. Verstehste? Am Ende bist vielleicht nur noch du da. Für die Fortsetzung.“

Es schien so, als wäre meine Idee tatsächlich nicht die schlechteste gewesen. Wir gaben ihr Raum und hatten reißerischen Spaß daran, in alten Schinken zu wühlen und die passenden Szenen für die richtigen Slammer zu finden.

Ein Wechsel des DJs, ein überraschend gutes Lied, ein Klopfen auf die Schulter. Irgendetwas wird uns unterbrochen haben, so wie Gespräche irgendwann unterbrochen werden. Es riss uns auseinander.

Später kam Frederik noch einmal zu mir, war dabei etwas aufgeregt und sagte:

„Ich habe bereits einen Titel für den Text. Ich schreib den auf jeden Fall. Ich nenne ihn: Das Schweigen der Slammer.“

„Sehr gut. Große Klasse.“ freute ich mich. Auch darüber, eine gute Idee gehabt zu haben, die nun von einem Könner umgesetzt werden würde. Wir tauschten unsere Kontaktdaten aus. Ich war gespannt auf das Ergebnis.

Tschüss.

Gute Nacht

Nacht war es geworden. Wieder zu Hause bestellte ich vorm Zubettgang noch eine neue Schallplatte, die 4. LP von S.Y.P.H. Die hatte Heinrich nämlich am zurückliegenden Abend gespielt, also dessen Song Little Nemo. Eines dieser Lieder, die beweisen, dass es die Liebe im ersten Ohrenlausch gibt.

Die 4. LP von S.Y.P.H. drehte sich an dem Abend auf dem Teller. Und heute, als ich diesen Text schrieb.

Schlafen.

Tage vergingen, sogar Wochen. Der fast in Vergessenheit geratene Frederik meldete sich dann aber irgendwann per PN auf Facebook. Der Text sei fertig, er hatte ihn sogar bereits in einer Kurzfassung vorgetragen. Alles sei gut gelaufen. Sehr gut. Ich freute mich auf eine Kopie des Textes, die kam sogar in zwei Versionen. Kurz und Uncut.

Hätte es einen Sinn, euch das alles zu erzählen, wenn jetzt der Text nicht käme? Nun also das Ergebnis eines vielleicht zufälligen Treffens in einer Eckkneipe in Paderborn, nun also das Ergebnis einer spontan entstandenen Idee, während im Hintergrund wunderbare deutsche Punkmusik aufgelegt wurde.

Nun also der Text von Frederik Hake, mit dessen freundlicher Genehmigung.

Disclaimer: Der folgende Text ist nur entstanden, weil ich ein von Neid zerfressener Slammer bin, der nie Erfolg, Geld oder ein virales Youtubevideo hatte! Außerdem: No poets were harmed during the making of this text!

Das Schweigen der Slammer (uncut)

Ich bin es so leid! Ich hab es soo satt! Da fährst du acht Stunden mit der deutschen Bahn von Paderborn nach Bielefeld zum Slam um dich dann in einem LineUp wiederzufinden, das der Slamteufel selbst zusammengestellt haben muss.Da reiht sich ein unter Wahnvorstellungen leidender Kommunist an eine Viral-Video-Queen, an den Mützenotto aus dem Pott, gekrönt vom Vorleseonkel mit der sonorsten Stimme der ganzen Szene. Und dann komme ich da an, der froh ist, sich einen anderen Reim als „Maus“ auf „Haus“ aus dem Denkschmalz gepresst zu haben. Ja Danke!

Aber dieses Mal wird es anders sein. Ich habe sie studiert, ich weiß, was sie mögen, ich weiß was sie hassen. Ich weiß was sie fürchten und ich kenne ihre Schwächen. Ich habe mich vorbereitet. Heute Abend werd‘ ich es schaffen, ganz bestimmt.

Zuerst war ich in Wuppertal, Patrick Salmen steht ganz oben auf meiner Liste, der hat eh so ´nen Bart. Ich war extra im Fetisch-Shop, die haben die besten Lederhandschuhe. Ein paar Bastelscheren auseinander brechen, Gaffa-Tape, Zack Feddich: Freddy Krueger. Auf dem Weg zu seiner Wohnung sprach ich ein paar Mädchen auf einem Spielplatz an und versprach ihnen Süßigkeiten, wenn sie mir einen Gefallen täten. Mit eher mäßigem Erfolg. Zum Glück traf ich in der Nähe aber vier Obdachlose, die gerade in eine Diskussion über die Bedeutung der Kritik der reinen Vernunft und den kategorischen Imperativ Kants im Bezug auf das Lebenswerk Mario Barths vertieft waren. Gegen einen kleinen Obolus in Form von vier Flaschen Paderborner, waren sie bereit mir zu helfen. Angekommen an Salmens, ich möchte es loftartiges Penthouse nennen, stellte ich sie in einer Reihe auf, drückte ihnen ein Springseil in die Hand und wir gingen ein letztes Mal ihren Text durch. Dann klingelte ich. Die vier Asphaltphilosophen begannen mit ihrem Reim.

Eins Zwei, Freddy kommt vorbei… drei vier, steht vor deiner Tür… sieben acht, hat Paderborner mitgebracht… Scheiße, wir ham 5 und 6 vergessen… 5 6… 5 6… irgendwas mit Hex´… 9 10 du wirst das versteh‘n.

Na gut, das musste reichen. Die Tür ging auf und ich streckte ihm die Hand zur Begrüßung entgegen. Sieh mal an, sein Blut ist ja gar nicht Rostrotkupferbraunfastbronze.

Erledigt. Für Nummer zwei musste ich nach Berlin. Ich fragte mich, welches Geräusch wohl die Klingel von jemandem macht, der Kling heißt. Brrrrt! Ich war enttäuscht, aber mir wurde geöffnet. Ich war wieder enttäuscht. Es wartete kein Känguru auf der anderen Seite. Ich fragte, ob es zuhause sei. Der Mann vor mir antwortete, dass es das Känguru ja gar nicht wirklich gäbe. „LÜGEN-KLING!!!“, schrie ich ihm entgegen und holte ein Küchenmesser hervor. Ob er heute schon geduscht habe, fragte ich ihn. Er verneinte. Künstler halt. Ich bat ihn, dies doch jetzt nachzuholen. Für den Effekt. Er wollte nicht. Also quietschte ich genervt *Quietschen* und stach neunmal auf ihn ein. Auf dem Rückweg kaufte ich mir eine Schachtel Mon Cherie, kein Wunder, dass das Känguru erfunden ist, die schmecken echt scheiße.

Als nächstes war die einzige Frau in meinem LineUp dran. Von der Nummer mit dem Klingeln hatte ich aber nach der Enttäuschung bei Marc-Uwe Kling Abstand genommen. Zu ihr würde ich anders in die Wohnung kommen. Ich hab nämlich auch eine Axt(, Patrick). Ich war wirklich sauer, als ich vor ihrer Tür stand. Warum konnte nicht mein Video so abgehen? Ihres hat inzwischen 10.175.281 Aufrufe. Entschuldigung, 282 Aufrufe dank mir. Scheiß Recherche! Meins dümpelt bei 18 und ich teile es einmal die Woche auf Facebook. Ich war richtig sauer. Und deswegen hab ich da mal diese Tür kaputt gemacht. Aber anstatt wie wild zu kreischen, blickte mich Julia nur völlig verständnislos an. Ich steckte den Kopf durch die Tür und sagte: „Hier ist Jackyyy. Ähm Sorry, ich komm nochmal: Hier ist Freddy!“ Der Rest war sowohl anstrengend als auch blutig. Bevor ich ging, konnte ich es mir nicht verkneifen, noch etwas loszuwerden. „Eines Tages, Baby, werde ich alt sein. Du nicht!“

Das beste kommt zum Schluss, sagt man ja so. Bei mir war das anders, ich hatte mir den Mützenmann aus dem Ruhrpott für den Schluss aufgehoben. Aber dieses ganze Hacken und Stechen war mir etwas zu anstrengend geworden und irgendwie auch ein bisschen zu prollig. Also umdenken. Ihm eine Falle stellen. Ich fälschte eine Einladung zu irgendeinem Kabarettpreis, damit würde ich ihn kriegen. Er solle sich bitte am kommenden Samstag zur Verleihung des goldenen Steißbeins in der Stadthalle von Bad Salzuflen einfinden. Dort wartete ich auf ihn, am gedeckten Tisch. Ich hatte eine Flasche Wein dekantiert und sah ihn erwartungsvoll an, als er den Saal betrat. Ich bat ihn Platz zu nehmen und doch die Mütze abzusetzen. „Das ist unhöflich Sebastian, das wollte ich dir schon lange mal sagen.“ Er sah mich skeptisch an. Ich stellte mich vor: „Hannibal Lektor mein Name.“ Anschließend versuchte ich ihn in ein intellektuell anspruchsvolles Gespräch zu verwickeln, er fragte aber immer wieder nur nach dem goldenen Steißbein. Und die Mütze hatte er auch noch nicht abgenommen. Banause! Das wurde mir zu bunt. Ich sagte: „Sebastian, oder soll ich Herr 23 sagen? Zu gern würde ich noch weiter mit Ihnen plaudern – aber ich habe noch ein Festessen mit einem guten Freund.“

Alles was von ihm übrig blieb ist diese Mütze und ein goldenes Steißbein in meinem Expedit-Regal.

Nächster Halt …………….. Ausstieg in Fahrtrichtung links.

Ich wache auf, „verrückter Traum“, denke ich und packe hektisch meine Tasche mit dem Textbuch, dabei fällt ein langes Küchenmesser klappernd zu Boden. Heute Abend werd‘ ich es schaffen, ganz bestimmt!

Das hat er gut gemacht, oder? Und wie geht es jetzt weiter?

Epilog

Heute Abend, am 7. April 2017 läuft in einer Einzelvorstellung Battle Royal im Cinestar in Bielefeld. Uncut und Extended. Ein Fest wird das. Die Karte ist bereits gekauft. In zwei, drei Stunden geht es los.

Battle Royal ist neben dem Buch und Film auch ein herausragendes Comic.

Vielleicht fahre ich anschließend mit ein paar neuen Inspirationen nach Hause, das muss aber nicht sein. Ich stelle mir das nämlich bereits so vor:

Der Frederik hat es ja jetzt geschafft. Ist an der Spitze angekommen und wird seine Karriere konkurrenzlos fortsetzen. Den Zenit erreicht.

Bestimmt wird er das bald auch in allen Facetten der Stars und Sternchen zu spüren bekommen, genießen können. Ein Haus am Strand, eine Finca auf der Insel, ein Loft in der Metropole?

Nein, ich stelle mir das so vor: Es wird ein Anwesen sein. Irgendwo weit draußen. Mehrere Gebäude. Viel Holz. Großzügig umzäunt. Dort wird er sich niederlassen, sein Leben leben und weitere Texte schreiben. Vielleicht sogar ein Buch.

Seine Frau wird anklopfen, bevor sie das Zimmer betritt, aber nur wenn Sie das Geräusch der Schreibmaschine nicht mehr hört.

Seine Sohn spielt allein auf dem Hof, lässt vielleicht ein Papierboot im dahinrinnenden Wasser schwimmen.

Weit draußen

Dort werde ich Frederik besuchen, als ein Überraschungsgast werde ich mit Anstand am Zaun unter dem Torbogen warten und seinen Sohn bitten, den Vater zu holen. So läuft er den beeindruckend weiten Weg zum Haus, „Vater, Vater! Besuch! Ein Mann!“ rufend.

Ich habe Zeit.

Freue mich auf das Wiedersehen.

Einmal noch greife ich an meine linke Brusttasche.

Zur Mundharmonika.

Frederiks Sohn wird bald ein Lied für mich spielen.

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