Nabelschnur 2.0

Markus schrieb heute, warum er eine Facebook-Pause macht. Damit ist er beileibe nicht der erste, der das als gut für sich erachtet. Auch meine Familie wird dieses Jahr zum dritten Mal einen Monat komplett ohne Fernsehen und Facebook verbringen. Aus überirdischen Gründen in 2015 aber nicht im Februar, nicht #ffffff.

Markus Beitrag hat mich erinnert, dass ich noch so eine Idee im Kopf trage, die es noch zu bloggen gilt. Wo sonst als beim Joggen soll mir dies passiert sein:

Weit vor mir auf dem Weg gehen zwei sehr junge Frauen, also wirklich große Mädchen. Ich jogge von hinten an die beiden heran und überhole sie Schritt für Schritt. Beide gehen dicht nebeneinander, aber echt nebeneinander. Denn beide haben ihre Blicke fest auf ihre Handys gerichtet. Kein Kontakt zwischen ihnen.

Das kann man doof finden. Oder komisch. Da ist ein Urteil, eine Verurteilung schnell zur Stelle.

Macht, was ihr wollt.

Ich jedenfalls nutzte die folgenden Kilometer, mir eine Antwort auf die zentrale Frage zu suchen:

Warum machen die das?

Diese Frage ist meines Erachtens gleichzustellen mit dem Druck und der Lust, mit der wir immer wieder zur Zigarette zum Handy greifen oder kurz Facebook auf dem Rechner besuchen.

Es ist kurz vor oder kurz nach Sucht.

Aber liebe Facebook-Freunde, wenn es tatsächlich eine Sucht ist, dann darf doch bitte auch gefragt werden, worauf wir süchtig sind, welche Sucht hier gestillt werden will.

Dies ist meine Idee

Anfangs ist die Nabelschnur, dann ist da Mamas Brust und weiter geht’s viele Nächte in der Bettritze zwischen Mama und Papa. Irgendwann dann der selige Schlaf auf der Rückbank, während Mama und Papa vorne im Auto plaudern oder singen. Das gemeinsame, tägliche Abendessen der Familie und am Wochenende dann alle eng aneinander auf dem Fernsehsofa. Vorher alle zusammen in der Achterbahn oder im Paddelboot.

So geht Kindheit gewollter Kinder.

Was gibt es schöneres, als das sichere Gefühl verbunden zu sein.

Von anderen gewollt zu sein ist eine Droge, Verbundenheit ein Rausch.

Danach sind wir süchtig, vom allerersten Tag unseres Lebens an. Aus allerbestem Grund, denn durch Verbundenheit und Beziehung zu anderen, wird aus Ich und Du ein Wir.

Dieses grundsätzliche Bedürfnis können wir nun im Social Web, dem Gesellschaftsnetz in vielen kleinen Dosen stillen, uns immer wieder bestätigen, dass wir verbunden sind.

Nach der Qualität der Verbindung, nach der Herzlichkeit der anderen, mit denen wir hier verbunden sind, fragen wir genauso wenig, wie Kinder ihre Eltern und deren Liebenswürdigkeit in Frage stellen. So kalt oder warm es mit den anderen ist, in beiden Fällen gilt:

Wir gehören fest dazu.

Jeder von uns gehört fest(!) zu den anderen und in jedem einzelnen Fall so eng es geht. Enger geht nicht.

Bestätigt wird uns das mit jedem Like, mit jedem Kommentar, mit jeder Whatsapp, mit jeder E-Mail.

Neben all dem Spaß und dem Sinn, dem unbestrittenen Mehrwert und der unendlichen Informationen bietet uns das Social Web außerdem in immer wieder kleinen Häppchen Futter für unseren naturgegebenen Heißhunger nach Dazugehörigkeit, nach Verbundenheit.

So gut ging das vielleicht noch nie.

Warum dann damit aufhören?

7 Kommentare

  • Tatsächlich gibt es in der Handhabung von Social Media & Co. eine echte Suchtkomponente inkl. Triggern der entsprechenden Hirnareale. Das habe ich recherchiert. Demmach finde ich es schwierig, dass so einfach als „okay“ zu betrachten, was Du beobachtet hast. Auf der anderen Seite bin ich aber auch davon überzeugt, dass man das nicht per se verdammen sollte, wenn Menschen auch in Gesellschaft in Handys starren. Frei nach dem Motto: Wenn ich lieber in mein Handy starre als mit Dir zu reden, muss das ja nicht nur an mir liegen. ;-)

  • Fahr mal mit dem Bus! Dann siehst Du mehr von diesen SmartZombies ;) Okay, ein Bus ist jetzt auch nicht unbedingt der Ort wo jeder mit jedem reden will.
    Und ja, ich blicke die letzte Zeit auch sehr viel aufs Display. Habe ja (m)eine Ausrede, ich lese ja nur ein Buch, digital.
    Und wenn ich dann in Runde gucke: Facebook, andere beliebige Nachrichtendienste (sicher auch im doppelten Sinn) und Spiele. Ach ja, anderen aufs Display gucken gilt als unhöflich, dann guck ich wieder aufs eigene.

  • Das Problem ist, dass die meisten Menschen einfach verlernen sich zu langweilen. Es ist unglaublich wichtig, die Gedanken, das Hirn einfach mal machen zu lassen, ohne Input. Ein Marathonläufer sitzt ja auch manchmal herum. Wenn der immer nur laufen würde, wäre der irgendwann kaputt.

    Langeweile ist ein sehr wichtiges kreatives Werkzeug.

  • Ich fühle mich ignoriert ;) Ich suche da oben mal nach dem Grund, warum wir das so suchtählich machen, und Ihr so: Es gibt aber gute Gründe das nicht zu tun. Hmm?!

  • Das Stichwort ist „Instant Gratification“. Es ist ja so, wie ich schrieb: Im Netz gibt es ständig etwas Neues zu entdecken. Ständig und in sehr kurzen Abständen wird das Belohnungssystem getriggert. Das setzt diverse schöne Hormone frei und das mag der Mensch. Irgendwann ist das Hirn so dermaßen druff, dass schon das kurze Ausbleiben dieser Situation als unangenehm empfunden wird.

    Deshalb.

    Babauta hat dazu was schönes geschrieben:

    http://zenhabits.net/gratify/

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