Ein Fremdblogger in Geldern
Ein total blogloser, guter Bekannter hat mir – gepackt von seinen Eindrücken – den folgenden Text geschickt. Der war irgendwie so, als gehörte er in die weite Welt:
Mein Stadtfest in Geldern!
Eingeladen, mir ein Coverband anzuhören, bin ich seit Jahren mal wieder als Gast in Geldern. Nach 20.oo Uhr eingetroffen ist unser Entsetzen groß, als wir durch die menschenleeren Straßen pilgern. Früher bin ich von Krefeld hierhin gefahren, weil dieses Straßenfest mal der Maßstab am Niederrhein war.
Mit einer Currywurst bewaffnet schlendern wir durch die Stadt, von Bühne zu Bühne. Mein Entsetzen wächst. Vom Karaoke-Gesang über Dixie, vom dilettantischen Jugendpunk über selbstverliebte Eigenkompositionen bis zum emotionslos vorgetragenen Coverrock alles vorhanden, alles gleich mittelmäßig bis schlecht. Vor der einen Bühne tummeln sich begeisterte betrunkene Jungendliche, während bei den anderen Bühnen noch begeistert getrunken wird – die Musik wird dann auch sicher besser. Die 3-Mann-Band auf der großen Bühne ist ein kleiner Lichtblick. Die Musik kommt hier kompakter, deftiger rüber. Dies ist aber kein Wunder, hier stimmen Anlage, Bühne und Räumlichkeit optimal – ich weiß es, ich habe vor 2 Jahren selber hier gespielt. Nach einem letzten Abstecher zur Coverband wollen wir den Heimweg antreten – ach, ist das alles öde, es ist ja auch schon nach 22.oo Uhr. Bei diesem Gedanken an den Heimweg denke ich im Stillen:
„Meine Güte, ist es fürchterlich, ein Musiker zu sein“.
Selber hunderte Konzerte als Schlagzeuger gespielt und hunderte als Konzertveranstalter organisiert, habe ich natürlich alles schon mal gehört und meist viel besser. Ich gebe zu, meine Ansprüche sind wohl nicht leicht zu befriedigen – heute auf jeden Fall nicht.
Nach einer kleinen Diskussion kann ich mich durchsetzen, auf dem Weg zum Wagen noch einen Blick auf die große Bühne zu werfen. Hier soll ne‘ 20-Mann-Band aus Straelen auftreten – wahrscheinlich die örtliche Musikschule oder ein Kurs der lokalen Volkshochschule. Von hinten an die Bühne kommend, sehen wir jede Menge Bläser und andere Musiker – na ja, hört sich ja ganz ordentlich an. Der Platz ist randvoll – hier sind die alle! Auf der Bühne erzählen zwei Moderatoren gerade vom einwöchigen Trainingslager, welches die Band für diesen Auftritt absolviert hat – Volkshochschule, sag ich doch!
Nächstes Stück Slegdehammer von Peter Gabriel. Whoam – Treffer! Ich fühle mich wie vom Blitz getroffen. Was ist das denn? Von wegen Volkshochschule. Mich trifft hier gerade ein Hammer. So kann das Stück klingen? Mir schießen spontan die Tränen in die Augen – so etwas passiert mir schon mal bei toller Musik, aber eigentlich ganz, ganz selten. Völlig fasziniert, fast schon paralysiert, stehe ich vor der Bühne und traue meinen Augen und vor allen Dingen meinen Ohren nicht. Power und Spielfreude pur.
Um es kurz zu machen, die nächsten 2 ½ Stunden vergehen wie im Flug. Etwa 30 Musiker sind es, die ein Feuerwerk von werktreu dargebotenen Tophits abfeuern. Jedes Mal kommt ein anderer Sound oder eine andere Stimme. Immer neue Sänger treten aus dem Bühnenhintergrund nach vorne – immer gut und immer die richtige Stimme zum Stück. Einige der Sänger kann man getrost als Top-Performer bezeichnen. Ob Soulröhre oder Schmusestimme, Robbie Williams Entertainment oder Endzeitgesang a la Curt Cobain, unterbrochen von kurzweiliger Conferenz.
Der Gesamteindruck ist bombastisch! Ich zähle 8 Bläser, 4 Streicher, 6 Chorstimmen, 3 Keyboarder, 3 Gitarristen, 3 Schlagwerker, Baß und etliche Solosänger. Trotzdem war keines der dargebotenen Stücke überladen, immer richtig orchestriert und werktreu. Der ruhige Typ am Keyboard scheint der musikalische Kopf zu sein – es sind immer die ruhigen! Die Streicher werden wahrscheinlich von der ebenfalls ruhigen Keyboarderin geleitet. Diese Band zeichnet als Eindruck beim Schreiben in erster Linie Ihre Begeisterung aus und die Tatsache, dass jeder Musiker sich „dienlich“ verhält. Keiner scheint der Star zu sein, alle scheinen am gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Solange sich diese Band das erhalten kann, wird Sie ihr Publikum wie gestern begeistern. Keiner sollte hier herausragen. Keiner? Na ja, es ist wie bei Asterix, wo es auch heißt ganz Gallien – nein, nicht ganz. Meine Ausnahme ist sicher auch durch die Tatsache beeinflusst, dass ich selber Schlagzeuger bin, aber dort in der Mitte der Bühne habe ich gestern eine Offenbarung erlebt, die mich in meinem Drummer-Selbstvertrauen stark erschüttert hat. Dieser schmale, lächelnde Typ hinterm Schlagzeug hat eine Energie, eine Technik und Perfektion an den Tag gelegt, die für mich Weltniveau hat. Zusammen mit dem Baßer hat er die Rhytmik der Band bestimmt. Der Drummer lacht vor Begeisterung, der Baßmann grient, und beide halten regen Blickkontakt der zeigt, dass die Chemie zwischen den beiden stimmt – sie verstehen sich, und man merkt es dem Spiel auch an.
In seinem Schlagzeugsolo zieht der Drummer alle Register der aktuellen Schlagzeugtechnik. In einem der letzten Stücke, Let me entertain you, unterlegt er lachend den Rhythmus mit einer Doublebaßdrum-Explosion, ohne das Stück zu verfälschen – alle Achtung. Ich werde daran denken, wenn ich mein Schlagzeug demnächst demotiviert einmotten werde. Ein dickes Lob auch an die Technik – die Abmischung war perfekt. Der Abend in Geldern hat sich gelohnt dank der überragenden Band
High Fidelity,
wobei der Name eine unverschämte Untertreibung ist. Auf dem Rückweg zum Wagen denke ich im Stillen:
„Meine Güte, wäre es schön, dort ein Musiker zu sein“.
P.P.
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Wie gesagt: nicht von mir aber von P.P. und mit herzlicher Genehmigung.
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