Wenn Phil Collins oder Bela B. Jogger wären
Ich weiß ja gar nicht auswendig, ob Phil Collins oder Bela B. ab und zu mal joggen gehen. Wenn es aber so wäre, dann wären sie eine der möglichen Antworten auf die Frage eines Freundes, die dieser mir kürzlich mailte.
Die Frage ging ungefähr so:
Hi, Du alter Jogger!
Kannst Du mir ’nen Tipp geben zur Musik beim Laufen? Nutze Runtastic mit Musik im Hintergrund, aber die Titel passen nicht zu meinem Tempo, habe jetzt schon mit einem Tool namens beaTunes4 die BPM meiner iTunes-Bibliothek komplett ermitteln lassen und über intelligente Wiedergabelisten nach BPM-Bereichen sortiert. Aber egal aus welcher Liste ich Lieder abspiele, der Takt passt nur ganz selten zu meiner Schrittfolge und dann bringt mich die Musik eher raus. Muss ich erst meine komplette Musik durchhören und mir passende Titel merken oder hast Du noch ’ne bessere Idee? Ich würde so gerne Musik zur Unterstützung hören, nicht zum Durcheinanderbringen … ;-)
Danke für jeden Tipp!
Die Frage stammt aus der Vorweihnachtszeit und meine erste Antwort war, dass ich den Guten um ein wenig Geduld bat, denn die Antwort schien auf die Schnelle nicht einfach.
Dies ist meine (späte) Antwort
Zunächst hatte ich sofort Lust, meine Songbibliothek ebenfalls zu scannen und mir auch Playlists mit ähnlichem Songrhythmus Beat zu erstellen, doch das muss warten. Ich schulde ja noch eine Antwort.
Ich hatte auch sofort eine nahe Ahnung, wie meine Antwort im Kern lauten würde. Zusätzlich nutzte ich meine letzten zwei, drei Läufe, um meinem Kopf wie so oft lange Leine zu geben und mich achtsam auf die Fragestellung zu fokussieren.
Meine Beine im weitestgehend steten Rhythmus.
Mit Musik auf den Ohren.
Da drunter spaßige Tanz- und Laufmusik wie zum Beispiel …
- Falling (OST Twin Peaks)
- Praan (Garry Schyman)
- Song Of Prayer (OST Final Fantasy X)
- Baby’s First Coffin (Dillinger Escape Plan)
- Die Befindlichkeit Des Landes (Einstürzende Neubauten)
Vermutlich wird spätestens Dillinger Escape Plan den feinakkustischen Hörer darin bestätigen, dass bei mir der Rhythmus nicht unbedingt im Vordergrund steht. Song Of Prayer aber auch.
Insgesamt habe ich 1.400 diverse(!) Songs auf meiner Jogging-Liste, die mir mein iPhone immer in zufälliger Reihenfolge vorschlagen darf.
Das klappt. Fast immer.
Erkenntnis #1
Mir fällt es beim Joggen überhaupt nicht schwer, einen gleichmäßigen, sich wirklich rund anfühlenden Rhythmus zu halten, auch wenn die vom iPhone vorgeschlagene Musik einen anderen oder eher gar keinen Rhythmus hat.
Hingegen kann ich allerdings auch dies eindeutigst bestätigen: Mir ist das absolut beflügelnde Erlebnis jederzeit willkommen, wenn mein iPhone auch Mal vollrhythmische Songs vorschlägt, die ein kleines bisschen schneller trommeln als meine Füße. Dann werde ich – wie gesagt – beflügelt und flotter. Und es kostet nichts.
Wie zum Beispiel auf dem letzten Kilometer beim Airport Run im November, als mir Jigsaw Fallin Into Place (Radiohead) geschenkt wurde. Das hat ganz todsicher einige Sekunden gebracht. Außerdem Tanzhormone überall.
Dass das toll ist, aber eben grundsätzlich echt nicht sein muss beatworten vielleicht Phil Collins und Bela B.
Vor einigen Jahren habe ich zu Weihnachten eine Cajon geschenkt bekommen, die seit dem geduldig darauf wartet, ernst genommen zu werden.
(Morgen starte ich mein Training für den Halbmarathon am Ostersamstag. Danach suche ich mir endlich einen Kurs für absolute Cajon-Anfänger.)
Bis dahin steht die Cajon hier als schickes Möbel und wurde von mir bis heute nur ein paar Mal testweise beschlagen.
Ergebnis: Rhythmus und ich sind Fremde.
Der Beweis, dass das stimmt und dass es immer wieder entzückende Synchronizitäten gibt, bestätigt dieses Video.
Während ich nicht trommeln kann (Video, 3:15 Min.) oder im volksmeinenden Sinne tanzen kann, können Phil Collins oder Bela B. sogar Schlagzeug spielen und dabei singen. Das ist für mich unbegreiflich. Zumal ich ja außerdem nicht singen kann.
Dann noch beides gleichzeitig zu können, ist irgendwie wie Duschen und Fönen in einem Rutsch. Aber wer’s kann …
Wenn Phil Collins oder Bela B. Jogger wären, hätten die mit dem Rhythmus von Fuß und Musik auf jeden Fall keine Probleme.
Da es enorm schwierig unmöglich ist, so zu werden wie andere, empfiehlt es sich eher, nach innen ins Selbst zu kucken als nach außen zu den anderen.
Beim meinen oben bereits genannten Läufen, bei denen ich hirndurchblutet und ablenkungsfrei im Flow befindlich die Frage meines Freundes durchkaut habe, ergab sich folgender Ansatz:
Wenn mir kaum rhythmische Musik beim Laufen gut tut, mich vielleicht sogar beflügelt, kann das ja nichts mit meinem Fußrhythmus zu tun haben. Dann muss es also etwas anderes geben, dass (in mir) angesprochen wird.
Ganz klar und meinem generellen Denken sehr nahe: Nicht nur die Füße der Körper hat einen Rhythmus, sondern insbesondere auch die innere Trinity: Herz, Geist und Seele.
- Ein Lied kann deinen Körper beflügeln, wenn es den Rhythmus deiner Bewegung folgt, oder umgekehrt. Dann tanzt du // Jigsaw Falling Into Place.
- Ein Lied kann dein Herz beflügeln, weil es Dich berührt, Dich vielleicht erinnert und Dich so gut fühlen lässt, wie damals // Song Of Prayer.
- Ein Lied kann deinen Geist beflügeln, weil es wie plausible Poesie, wie der richtige Satz zum richtigen Zeitpunkt kommt und Dich reindenken lässt in ein begeisterndes Bild aus Worten // Die Befindlichkeit Des Landes.
- Ein Lied kann deine Seele beflügeln, weil es Dich sicher erahnen lässt, dass es die Welt bunt, vielfältig, spannend, unentdeckt ist und ihre Wellen Dich tragen, wann immer du sie lässt // Babys First Coffin.
Erkenntnis #2
Im Leben und beim Joggen gibt es weit mehr Rhythmen als nur den unserer Füße. Da sind zum Beispiel noch das Herz, das Hirn, die Seele, vermutlich sogar noch ein paar weitere Konsorten.
Vielleicht geht es uns immer dann besonders gut, wenn diese Rhythmen harmonieren, vielleicht ist das aber auch überhaupt nicht wichtig. Vielleicht genügt es schon, wenn die alle in ihrem jeweiligen Rhythmus ungestört schwingen dürfen.
Die Magie der Musik verstehe ich in jedem Fall so, dass diese uns genau dann beflügelt, berührt, beschwingt und belebt, wenn sie einen der Rhythmen in uns begleitet, egal welchen – Herz, Seele, Geist, Füße, …
Dass das beim Joggen helfen kann, stünde damit außer Frage.
Deine eigenen Rhythmen
Die Idee dieses Blogposts trage ich seit Wochen in mir, seitdem mein Freund mir dessen Frage stellte und ich ihm eine Antwort versprach. Eine Antwort über Rhythmus, Füße, Bewegung, Musik.
Aber Joggen ist mehr als Bewegung, mehr als Turnsport. Gutes Joggen ist auch Meditation, Inspiration, Gleichklang.
Herzerfüllend (#serious) jammert Bono in Moment Of Surrender davon, wie es sich anfühlt, wenn dieser Gleichklang aus der Spur ist, wenn in dir jeder jedes macht, was er es will – von diesem Gefühl, dass du eine einzige Ambivalent bist, eine Disharmonie, ein Durcheinander, das nur noch dieses eine will:
Zurück zur eigenen Ordnung, raus aus der Mühle des „Sein müssens„, wie die anderen es von dir zu wollen scheinen. Raus aus dem Druck. Raus aus dem Muster.
Am Rande wie im Kern sei bemerkt, dass dies wohl diejenigen am ehesten nachvollziehen, die diesen Moment Of Surrender bereits zu spüren bekommen haben. Diesen ewigen Moment, wenn die eigenen Rhythmen eine einzige Kakophonie sind und man dies im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leib zu spüren bekommt; und kein Arzt dieser Welt helfen kann.
My body’s now a begging bowl //
That’s begging to get back, begging to get back //
To my heart //
To the rhythm of my soul //
To the rhythm of my unconsciousness //
To the rhythm that yearns //
To be released from control //
(Moment Of Surrender // U2)
Das Gegentum dieser Sehnsucht ist der Moment, in dem alles rund läuft, in dem meine Füße, mein Herz und meine Seele Sauerstoff, Licht und Bewegung tanken.
Dann noch begleitet von dem richtigen Song zur richtigen Zeit – spätestens dann kommt der berauschende Flow, den viele Tänzer Jogger kennen. Dann kommt das Läuferhoch, das Gefühl, dass es noch viele, viele Kilometer so weitergehen kann. Mit Genuss.
Das bekommt man nicht geschenkt. Das ist eine Belohnung. Zum Beispiel dafür, dass ich mir meine Laufschuhe anziehe und Haus und Sofa verlasse. Andere machen das oft anders, aber mindestens genauso gut.
Meine Antwort
Lieber Freund, nimm Dir genau die Musik, die Dir gefällt, nicht die, zu der andere tanzen. Konzentrier Dich beim Laufen nicht auf Deine Füße, auch nicht auf die Musik, Deinen Körper oder das, was Dir in den Felder begegnet. Konzentrier Dich nicht. Lass es einfach fließen.
Die Musik wird Dich dabei sicher begleiten. Bestenfalls beflügeln.
Und wenn ein einzelnes Lied Dich stört, weil es einfach nur zum falschen Zeitpunkt kommt, drück den Knopf und spring ausnahmsweise mal zum nächsten.
Ein kleiner Hüpfer. Weiter geht’s.
We’re gonna get to that place //
Born To Run // Bruce Springsteen
Where we really wanna go //
And we’ll walk in the sun //
But til then tramps like us //
Baby we were born to run //
Mach das alles mal langsam und mal tobend, mal mit und mal ohne Musik, mal allein und mal mit anderen, mal mit unbändiger Lust und mal mit eiserner Disziplin.
Aber immer, immer, immer achtsam, und immer, immer, immer in Deinem(!) Rhythmus.
Dann macht das Joggen Leben Spaß.
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