Ein echt besonderer Hermannslauf 2019 – mal etwas ganz anderes

Das sind meine bisherigen Hermannsläufe:

  • 2016 war ich nach 2:55:05 im Ziel und vollkommen stolz.
  • 2017 hat es 2:55:08 gedauert und natürlich ärgerten mich die 3 Sekunden.
  • 2018 habe ich es ruhiger angehen lassen und war bei 3:08:22 im Ziel. Nicht happy aber zufrieden mit mir.

Und heute, am 28. April 2019, bei meinem vierten Mal, wie lief es da?

Vorab: Meine PBZ, meine Persönliche Bestzeit waren heute die letzten 2 Kilometer, die letzten 10 Minuten. Lest am Ende selbst, warum. Denn eins nach dem anderen. Sonst kommen wir nie ins Ziel.

Ich laufe heute den ersten Hermannslauf ohne Musik auf den Ohren. Wie zuletzt den Halbmarathon beim Paderborner Osterlauf. Das ist irgendwie ruhiger und unterstützt mich dabei, mehr nach Gefühl als auf Takt zu laufen. Hat Ostern bereits super geklappt.

11:00 Uhr der erste Startschuss. Block A. Wir, Michael, ich und einige Hundert andere stehen in Block B. Ungefähr um 11:05 Uhr dann also auch wir. Los geht’s auf 31,1 Kilometer durch den Teuto.

Es geht wie gehabt einige Kilometer brutal bergab. Ich beschwere mich lauthals:

„So ein Scheiß, wie soll man denn da auf den Vorfuß kommen.“

Neben mir lacht einer lautstark zurück:

„Yoga könnte Dir helfen.“

Ein Spaß und alle hoffen, dass auch die noch kommenden 29 Kilometer so einen Spaß machen werden.

Michael (rechts) und ich sind zusammen gestartet, wie ja alle anderen auch, doch bereits nach den ersten Kilometern war er mir wie erwartet nach vorne entlaufen. Kein Problem, ich hatte ja den Autoschlüssel.

Die ersten drei, vier Kilometer laufen Michael und ich quasi nebeneinander, aber dann lasse ich alter Hase den jungen Hüpfer mit all meiner Erfahrung nach vorne weglaufen. Das war auch ganz gut so, denn sonst hätte er noch mitbekommen, was mir bei Kilometer 6 passiert ist und bestimmt allen davon erzählt.

Von der Liste der Sachen, die ein Mann erlebt haben muss

Bei Kilometer 6 habe ich mich voll auf die Schnauze gelegt. Scheiß Wurzel. Da lag ich also im Teuto im Dreck. Kurzer Scan. Alles heile. Danke an die Läufer*innen, die mir geholfen haben. Hoch auf die Füße. Weiter geht’s. Das ganze spart mir locker 1 Gel vong zusätzlichen Adrenalin her. Muss es auch, denn später stelle ich fest, dass mir beim Sturz ein Gel verloren ging. Aber wie gesagt: Weiter geht’s. Was ein Mann einmal im Leben gemacht haben muss: Haken dran.

Immer wieder – es ist ja Hermann – geht es ganz gut bergauf.

Auf der Panzerbrücke bei Kilometer 9 steht der Trainer. Ich bin ja Profi, also schenke ich ihm spontan mein Trikot, zumal ich eins zuviel angezogen hatte. Ganz tolles Wetter nämlich. Der Trainer guckt überhaupt nicht so, als würde er sich freuen wie ein kleines Kind. Jetzt will ich dann doch mein Trikot zurück. Also irgendwann. Ich bin nämlich schon wieder weg, als ich das alles denke.

Außerdem denke ich, dass ihm als Trainer wohl nicht geschmeckt hatte, dass ich ihn unbedingt umarmen wollte. Er hatte ein flottes High Five vorgeschlagen. Kostet ja sonst alles wertvolle Zeit. Geschenkt, Trainer, geschenkt. Für Dich.

Kurz danach treffe ich auf der Strecke Meinolf, der ist ja unüberhörbar. Wir beiden alten Männer ziehen uns einige Kilometer durch Wald und Feld. Wir quatschen viel. Müssen wir auch, weil wir zu der Sorte gehören, die ununterbrochen reden, wenn der andere nicht unerbricht. So schützen wir uns gegenseitig vorm Zuvielreden.

Meinolf trägt übrigens ein cooles Shirt, Hermann gegen Polio, einer beeindruckend starken Initiative. Erst das hier zu Ende lesen, dann diesen Link klicken.

Etwas vor Oerlinghausen haut Meinolf ab. Nach vorne. Ich höre auf meinen Körper und auf zu quatschen. Wieder allein. Viel Spaß noch, Meinolf.

Petrusplötzlich: Ab Kilometer 17, kurz vor Oerlinghausen totales Scheißwetter. Hagel, der auf der Haut weh tat. Alles wurde kalt. Muskeln viel zu kühl. Und der Boden, das Kopfsteinplaster belegt mit Eispfützen. WTF?!

Runter nach Oerlinghausen werden wir auf der Straße sogar von herabfließenden Wasser überholt.

Es gießt und graupelt für vielleicht 30 Minuten. Alles ist kalt. Alles ist nass. Alles ist doof.

Elias Sansar ist da wohl schon irgendwo beim Ziel oder durch, der Glückliche. Alles richtig gemacht.

Eigentlich wollte ich unten in Oerlinghausen das zweite Gel nehmen, aber tatsächlich waren meine Arme und Hände so kalt, dass ich da keinen Bock drau hatte.

Während ich mich darüber wundere, passiere ich ein Kilometerschild nach dem anderen. Froh, dass meine Schuhe nicht im Schlamm stecken bleiben, froh kein zweites Mal lang hinzuschlagen. Einmal denke ich: „Jetzt würde es sich aber richtig lohnen.“

Der Boden total matschig. Bin durch einige Pfützen gerannt. Meine Schuhe und Socken klitschnass. Die letzten 6, 7 Kilometer dann wenigstens kein Niederschlag mehr. Sogar wieder etwas Sonne.

Eigentlich waren die Schuhe noch ziemlich neu. Vor allen Dingen waren die Schuhe vor dem Hermann aber noch vollkommen weiß.

Ich gucke seit längerem bei Läufen ja konsequent nicht mehr auf die Uhr, kein einziges Mal, laufe komplett nach Gefühl. Am Ende bin ich dann gespannt. Aber da war ich ja noch nicht.

Bei Kilometer 29 rief ein Zuschauer aus dem sich bereits links und rechts gebildeten Spalier uns Läufer*innen immer wieder zu:

„Hau rein, dann bleibt ihr unter 3 Stunden.“

Ungläubig frage ich laut in die um mich herum laufende Runde:

„Stimmt das?“

Einer hinter mir so:

„Ja, außer du bist in Block A gestartet.“

Ich:

„Nein, B.“

Ich realisiere, dass ich womöglich einen echt guten Lauf hinter mir habe und gebe laut zu:

„Scheiße, jetzt kommen mir gerade voll die Tränen.“

Er nochmal:

„Hör auf zu heulen und renn. Genieß es einfach.“

Ein guter Mann, der mich später im Ziel übrigens gesucht und mir nochmal prima auf die Schulter geklopft hat. Danke, Mann!

So bin ich also total bewegt und aufgeregt die letzten 2 Kilometer gerannt, also soweit noch möglich. Aber ein wenig ging noch. Ich hatte mir die 31,1 Kilometer spürbar gut eingeteilt. Außerdem geht’s ja leicht bergab, zum Schluß auf der Promenade.

Dass ich dieses Jahr – ohne direkte Vorbereitung außer 1 Woche Texel, ohne Trainingsplan für den Osterlauf, direkt 8 Tage nach dem Halbmarathon dort – den Hermann nochmal unter 3 Stunden laufen würde, das war für mich ein Traum. Genau das, mehr aber auch nicht. 15 Minuten schneller als letztes Jahr?! Ein Traum. Und auch noch 5 Kilo schwerer als im Vorjahr. Lass mal realistisch bleiben. Ne, nur ein Traum.

Im Ziel habe ich auf die Uhr geguckt und: aus der Traum. Realität. Und gerade kam die offizielle SMS:

Vielen Dank!

Ich sollte einfach noch öfter auf diesen Körper hören. Und auf dieses Herz. Verrückt, was die beiden können.


Im wirklichen Leben muss ich mich noch mal beim langjährigen Trainer Axel und meinem Next Level Running Coach Andreas bedanken. Auch bei Texel Didi. Bei der zuhause gebliebenen, weltbesten Möglichmacherin Sandra, die jetzt wieder ein Jahr Zeit hat, über den Hermann 2020 nachzudenken. Ein dickes Kumpeldanke an meinen ständigen Laufwegbegleiter Michael, mit dem zusammen das alles doppelt Spaß macht. Auch, weil er im Ziel immer so geduldig auf mich wartet. Und wartet. Ein special Danke an den SC Paderborn 07, der den direkten Aufstiegsplatz heute ohne mich ergattern musste und das auch machte. Das I-Love-You-All-Danke geht an alle Organisatoren, die wahnsinnig vielen Helfer und das gesamte Publikum des Hermannslaufs. Ihr seid die allerbesten. Tja, Petrus, für dich habe ich heute leider kein Foto. Und zuerst und zuletzt nochmal mein tiefstes Verbeugungs-Danke an meine Beine, meinen Körper und mein Lauf- und Glaub-Herz. Super gemacht, alle. Alles.

Im Ziel: Ein Blick auf die Uhr.

„Oh, wie ist das schön!“

[TL;DR]

Habe heute beim Hermannslauf 29 Kilometer nur auf meinen Körper gehört – kein einziger Blick auf die Uhr. Die letzten beiden Kilometer waren ein Traum. Bin mit einer für mich sauguten Zeit ins Ziel. Und einem glücklichen Herz. Ich danke einfach allen.

3 Kommentare

  • Der Bericht ist für mich Mega.
    Habe das ein oder andere Mal das Gefühl gehabt ich würde da laufen.
    Nur ich war immer etwas langsamer Unterwegs.
    Nach 10x laufen,Wander ich jetzt den Hermannslauf ohne Zeitdruck.
    Den einzigen Druck den ich mir jetzt selbst mache,ist das mein Ziel ist. Das der Sieger mich erst ganz spät überholt.
    In diesem Jahr ,hat er mich bei KM 28 überholt.
    Da wusste ich, das meine selbst genommene Zeit wohl unter 5:30 Stunden liegen könnte.Das hat dann noch mal Power in den Beinen gemacht. Als ich auf der Ziellinie stopp
    auf der Uhr drückte waren es dann unbeschreibliche 15 Minuten schneller als 2018.

  • Lt. DLV Reglement und Hermannslauf-Ausschreibung ist das Benutzen von „Medienwiedergabegeräten“ während des Wettkampfs ohnehin untersagt. Im Grunde müssten alle, die mit Kopfhörern laufen disqualifiziert werden.

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