Paderborner Osterlauf 2015 – Halbmarathon in 10 Etappen
Ich habe kurz überlegt, ob ich meinen gestrigen Lauf hier beschreibe und bin dabei auf die Idee gekommen, das in 10 Happen Etappen zu machen. Denn: Ein wenig darüber loszuwerden habe ich schon.
1. Besser geht immer
Der Osterlauf war 2015 anders als immer. Der gesamte Bereich um Start und Ziel war vollkommen anders belegt und organisiert, alle mussten sich daran gewöhnen. Aus meiner Perspektive hat die Organisation alles(!) richtig gemacht und damit optimal auf das ständige Wachstum des Wettbewerbs reagiert.
„Alles richtig gemacht?!“ werden jetzt einige stirnrunzeln. „Und was ist mit der wahnsinnigen Kollision der Bambinis und des 5-Kilometer-Feldes?!“
Ohne Frage eine echte organisatorische Panne, die zurückkehrenden Kleinen frontal auf die startenden Großen stoßen zu lassen. In einer zu engen Straße. Die Kids wurden komplett von der Strecke verdrängt und mussten sich über den Bürgersteig retten, dort zwischen den Zuschauern ihren Weg zurück ins Ziel finden.
Das ist andererseits eine so klare Panne, dass ich sicher bin, dass die Organisatoren das auf keinen Fall ein zweites Mal passieren lassen werden. Ein Fehler ist erst dann ein Fehler, wenn er wiederholt wird.
Mein Kompliment gilt also ganz klar der Organisation des Spektakels, die riesige Schar an Läufern, das massige Publikum und eine Menge direkt aneinandergereihte Wettbewerbe so super vorbereitet und durchgeführt zu haben.
Weiter so!
Belohnt wurde das Engagement mit einem von allen herzlich willkommenen Wetterwechsel. Während 48 Stunden vorher noch das Sturmtief Niklas alles zu versauen schien, hatten wir einen klaren, trockenen Tag mit milden Oster-Temperaturen.
Verdientes Glück.
Die o.g. Panne berücksichtig ziehe ich das Fazit, dass der Osterlauf immer besser wird, immer besser gemacht wird. Ob das auch für die Erfolge der Sportler gilt, liegt in den Füßen eines jeden Einzelnen. Und in den Köpfen.
2. Die Idee
Ungefähr seit Millenium laufe jogge ich. Seit knapp 15 Jahren. Ob ich meinen ersten Osterlauf 2001 oder 2002 gelaufen bin, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls galt damals schon: 10 Kilometer unter 60 Minuten ist ein Muss.
2003 bin ich meinen ersten Halbmarathon gelaufen. Das ist ja nichts anderes als 2 Mal 10 Kilometer. Ist es nicht. Ich bin vorher zwar regelmäßig gelaufen, an den Start für den Halbmarathon bin ich allerdings ohne jedes echte Training gegangen. Nach 14 Kilometern bin ich ausgestiegen. Hätte ich damals geahnt, wie lange mir das zu schaffen machen würde, wäre ich in jedem Fall im Feld geblieben, wäre ein paar Meter gegangen, gelaufen, gegangen, u.s.w.
Verletzungsbedingter Abbruch ist okay. Bei zu großen Schmerzen muss man aufhören. Aber wenn Du einfach nur denkst, Du kannst nicht mehr lange, ist Aufhören keine Alternative.
Aber ich hatte aufgegeben. Irgendwie einfach so.
In 2004 habe ich es dann anders gemacht. Bücher gelesen, mit anderen ausgetauscht, 12-wöchigen Trainingsplan aufgestellt und los ging es. An den Plan habe ich mich so diszipliniert gehalten, dass ich erinnere, nur genau einmal einen Tag mit dem nächsten getauscht zu haben. Bei 3 oder 4 Läufen in der Woche habe ich ansonsten jeden Tag mein Programm durchgezogen.
Das Ergebnis 2004: Ich fühlte mich 1:45:39 wie eine Laufmaschine. Das habe ich in einem Posts hier festgehalten: Ein über 10 Jahre alter Beitrag über ein absolutes Hochgefühl.
Mit 37 Jahren fühlte ich mich so fit wie nie zuvor.
In den dann 11 folgenden Jahren bin ich oft die 10 Kilometer gelaufen, erinnere mich nicht daran, jemals länger als 60 Minuten gebraucht zu haben.
2, 3 Osterläufe habe ich aber wohl ausfallen lassen. Es gab auch eine längere Phase in dem bitteren Glauben, dass meine Knochen es nie wieder zulassen würden, Jogger zu sein.
2013 reichte meine Power dann nur noch für die 5 Kilometer. Direkt nach dem Zieleinlauf stand für mich fest: Nein Ja, so geht es nicht weiter.
Gewollt. Getan.
Seit Ostern 2013 lief ich wieder jede Woche mindestens einen Lauf. Nach einigen Monaten waren Strecken über 15 Kilometer, Läufe weit über 2 Stunden gut zu schaffen. Doch so leicht, rund, locker wie 2004 war es nicht mehr. Komisch!
Warum war es nur so anstrengend?
Ich suchte die Antwort und tat das, was ich bereits 2004 getan hatte: Ich las Bücher und stellte erschrocken fest, die Läuferlektion Nummer 1 vergessen und ignoriert zu haben:
„Lauf langsam, Mann!“
Im Sommer 2014 habe ich Tempo rausgenommen, bin von 5:30 je Kilometer auf 6:20 je Kilometer runtergegangen und nach nur ganz wenigen Wochen wurde es leicht, rund und locker. Auch mein Puls ging in nur wenigen Wochen bei gleicher Belastung um 10 Schläge pro Minute runter. Ich trainierte plötzlich.
Das Joggen war wieder ein Genuss, und ich lief nicht länger nur noch des Gefühls wegen, das sich nach dem Laufen einstellte. Ich lief wieder, weil das Laufen selbst so viel Spaß machte.
Und dann das: Wenn es sich wieder so anfühlen konnte, wie 2004, warum sollte ich dann nicht das gleiche erreichen können, wie 11 Jahre zuvor. Ein Versuch sollte es allemal wert sein. Ende 2014 stand dann fest: Ich meldete mich für den Halbmarathon beim Paderborner Osterlauf 2015 an, setze mir zum Ziel, bestenfalls die 1:45:39 zu toppen, besorgte mir einen Trainingsplan und freute mich auf Anfang Januar, den Start des Trainings.
Auf dem Plan standen 4 oder 5 Läufe je Woche. Kann man schaffen.
3. Körper und Geist
12 Wochen dominierte das Training für den Osterlauf meinen Stundenplan, natürlich auch oft den Familienkalender und den Terminkalender meines Jobs bei code-x.
Ich hatte den Osterlauf fast täglich im Kalender, oft in den Knochen, fast immer irgendwie im Kopf und das Ziel klar vor Augen.
Getrübt wurde der Trainingsspaß allerdings von 2 Erkältungen, die den Start des 12-wöchigen Trainings um eine Woche verschoben, das Training in der dritten und in der letzten Woche zu Unterbrechungen zwangen.
Erkältung in der letzten Woche? Ja, und ich bangte darum, überhaupt starten zu können. Aber es ging gut genug: Die Erkältung ging so schnell wie sie kam und mit den ein, zwei verbleibenden Symptömchen war klar: Starterlaubnis erteilt.
In den letzten Minuten vor dem Start hat man kaum Platz im Kopf, sich klarzumachen, was man da in den letzten 12 Wochen getan hat und dass das jetzt darauf hinausläuft, in wenigen Minuten auf die Strecke zu gehen.
Ungefähr so muss sich Elfmeterschießen im Finale anfühlen.
Man hat keine Zeit nachzudenken. Bis der Startschuss fällt.
Ein Tritt gegen den Ball und die Entscheidung ist gefallen.
Beim Halbmarathon ist das anders: Plötzlich laufe ich und habe unendlich viel Zeit, mir einen Kopf zu machen, alles gedanklich zu durchkauen, alle Alternativen zu zergrübeln, Vorfreude und Sorge gegeneinander antreten zu lassen, jedes der unzähligen Signale des Körpers zu interpretieren. Oder war da gar nichts?
Und dann wieder von vorne.
Es ist total krass, was der Kopf da durchmachen muss, leisten muss, leiden und entscheiden muss, während die Beine lediglich einen Schritt nach den anderen machen müssen.
Die Füße wechseln sich nicht so schnell ab, wie die Szenen im Kopf, die Kilometer vergleichen, Zeiten berechnen, Zieleinläufe fantasieren, Mitläufer analysieren, Signale übersetzen, Stolz und Kampfgeist beschwören, und immer wieder die Frage stellen:
„Warum habe ich das getan?“
Und dann wieder von vorne.
Der Kopf macht Kino, das passt auf keine Leinwand.
Während die Füße einfach weiterlaufen.
4. Hör‘ auf den Trainer! Immer!
1:45:39 zu toppen war mein Traum in Reichweite, unter 1:50:00 zu bleiben war klar gestecktes Ziel.
2004 bin ich als Laufmaschine konstant 5 Minuten je Kilometer gelaufen, der Plan ging voll auf und ich erinnere den ganzen Lauf als Genuss.
2015 bin ich zu ehrgeizig gewesen, die ersten 10 Kilometer unter 5 Minuten geblieben, zum Teil sogar unter 4:40 gelaufen. Auf der Hälfte der Strecke schien eine Zielzeit von 1:40:00 möglich. Ich hatte über 2 Minuten rausgelaufen, auch wenn es anstrengend war.
Eine hammermäßige Zeit schien möglich.
Ein Genuss war es nicht.
Ich bin (die ersten) 10 Kilometer in 48:00 Minuten gelaufen.
Dann die zweite Runde.
Bei Kilometer 12 hatte ich noch einen kurzen Flow, und dann kam der Hammer. Ich verabschiedete mich direkt von 1:40:00 und 1:45:00 war nur noch Hoffnung. Ich nahm Tempo raus und versuchte, endlich in den 5er-Schnitt zu kommen.
Bei Kilometer 15 war ich fertig. Der Gedanke an Abbruch, an Ausfall, an Aufgabe war der lauteste im Kopf.
Der Trainer hatte vorher gesagt:
Lauf locker los, lass dich nicht antreiben, lauf 5er-Schnitt und bei Kilometer 5 oder 6 solltest Du Deinen Rhythmus haben.
Das lag keine 24 Stunden zurück. Auch meine Erfahrung von 2004 sagte genau das gleiche.
Ich bin jedoch gelaufen, wie ein Idiot. Das Training war wirklich immer so gut gelaufen, so dass ich nun mehr für möglich hielt. Der Mann mit dem Hammer zeigte mir meinen Irrtum auf.
Aufgeben? Endlich nicht mehr laufen müssen?
Ich kann nicht mehr und es sich noch so viele Kilometer.
5. Das beste
Wenn mir der Genuss aus 2004 elf Jahre später kein Lehrmeister sein sollte, so war mir 2003 doch die rettende Lektion.
Meinen Halbmarathon 2003 hatte ich abgebrochen.
Bei Kilometer 16 bin ich links an den Straßenrand, habe aufgehört zu laufen und bin gegangen. Was sich das spontan als Aufgabe anfühlte sollte aber keine sein. Eine Pause, mehr nicht.
Ich war in einem Tunnel, mein Puls war voll im grünen Bereich und ich ging Schritt für Schritt weiter. Die Augen vorn, gleichmäßiger, kräftiger Atem.
Totaler Tunnel.
Nicht lange und ich lief langsam weiter.
Das habe ich insgesamt vier Mal machen müssen, bei Kilometer 19 war ich fest entschlossen, die letzten 2 Kilometer durchlaufen zu wollen. Bei Kilometer 20 waren dann doch noch ein paar Schritte notwendig.
Der Gedanke an Aufgabe noch immer nicht ganz still. Aber leise.
Ein Blick auf die Uhr bestätigte mir, dass der Kampf – ich sage Euch, es war die Hölle – sich noch lohnen könnte. Würde ich den letzten Kilometer noch einmal im Bereich von 5 Minuten laufen können, wäre das Primärziel erreicht.
Kämpfen. Wirklich.
Bei 1:49:01 war ich im Ziel.
So kaputt, wie noch nie in meinem Leben.
So happy über jeden einzelnen Schritt, insbesondere die gegangenen.
Ich hatte nicht aufgegeben, nur ein wenig losgelassen.
Eine wunderbare Lektion.
6. Das doofste*
* ohne ‚ö‘ sagt der Duden
Das Gelernte ist es wert, aber …
… ich hätte die 1:45:39 aus 2004 wohl schlagen können, wenn ich auf Trainer, Bücher und die Vernunft gehört hätte. Ich hätte nicht so schnell starten sollen, was der allerdümmste Anfängerfehler ist.
Vor allen Dingen hätte ich dann 21,0975 Kilometer genießen können, statt einen so krassen Höllenritt durchstehen zu müssen.
Wirklich, wirklich schade um den Genuss.
Das Gelernte ist es wert.
7. zufrieden und happy sind zwei wirklich unterschiedliche Gemütszustände
Einen Halbmarathon (als ich) in 1:49:01 zu laufen ist ohne Frage ein echter Grund, stolz und zufrieden zu sein. Das bin ich auch. Ohne Frage. Uneingeschränkt.
Total happy bin ich nicht. Dafür habe ich 3 Minuten und 40 Minuten zu viel auf dem Tacho. Ein persönlicher Triumph war das somit nicht.
Was bleibt ist ein herzlich zufriedenes und stolzes Ich. Und das eher unbekannte Gefühl, ein echter Kämpfer zu sein. Daran muss ich mich noch gewöhnen.
8. Plan und Wirklichkeit
Ich hatte einen Plan. Ich wollte meine Zeit von 2004 einfangen und dann einen Haken dran machen.
Doch ich bin wohl ein Jogger.
Auf dem gestrigen Lauf durch meine selbstgemachte Hölle habe ich mir unzählige Male geschworen, das nie wieder zu machen. Echt. Nie wieder. Nein.
Werde ich aber.
Ich bin wohl ein Jogger.
2016 wird wieder angegriffen.
Dafür wünsche ich mir ein erkältungsfreies Training.
Dafür steht fest: Ich werde ohne Musik, ohne Runtastic laufen, mit Brustgurt und Pulsuhr, mehr nicht. Alles andere war gestern ausnahmslos Stress. Elektrisches Getöse.
Dafür steht fest: Ich werde Axel bitten, mir wieder einen Plan zu schreiben, ihn wieder Trainer nennen zu dürfen. Ich werde lockere Trainingsläufe locker laufen, nicht flott. Ich werde langsame Trainingsläufe langsam laufen, nicht flott. Ich werde auf den Trainer hören.
Dafür steht fest: Ich werde Ostersamstag 2016 vom ersten Schritt an im 5er-Schnitt laufen, keine Sekunde schneller.
Dafür steht fest: Ich werde 1:45:00 laufen.
Das habe ich heute erträumt. Jetzt kommt aber erst noch viel 2015, joggen durch den Frühling, joggen unter Sonne und im Sommerurlaub, irgendwann joggen im Herbst.
Dann lege ich mich fest.
Bis dahin wird geträumt.
9. Danke
Pensum ist ein schönes Wort.
Das Pensum an zurückliegendem Training kostet Zeit. Die kann sich jeder nehmen, glaubt mir. Aber das entspannt gute Gefühl, sie niemandem zu nehmen, bekommt man geschenkt.
Danke an Sandra, die mir immer den Rücken freigehalten hat, mir Raum, Zeit und Freisein gegeben hat und mein Ziel herzlich ernst genommen hat.
Das ist ein Geschenk.
Danke an das Team von code-x, dass mich entspannt gehen und laufen ließ, wenn es auf dem Plan stand.
Danke an Axel, von dem ich vorher wusste, dass er für Läufer immer ein paar gute Tipps auf Lager hat, der mir aber mehr geboten hat. Einen sauguten Trainingsplan und das einmalige Gefühl, einen echten eigenen Trainer zu haben, der immer ansprechbar und motivierend war. Danke Axel, für die unendlich gute Betreuung und ganz besonders dafür, dass Du Ostersamstag (nur) für mich nach Paderborn gekommen bist, um mir im Ziel persönlich meine gemeinsam verdiente Medaille zu überreichen.
Danke Euch.
Vielen Dank auch für die Fotos an Stefan Gundermann (laufpix.de) und Matthias Kleine (klein0r.de)
10. Der unbändige Stolz
Da kannste 12 Wochen trainieren, rennen, bis die Füße bluten und Zehennägel flöten gehen, Energiedrinks und Zinktabletten verschlingen, Dir 1 Stunde und 50 Minuten den Kopf buchstäblich zerbrechen und wie ein geschlagener Hund die Hölle überleben …
… wenn Dein 10-jähriger Sohn dir 2 Wochen vor dem Osterlauf sagt, er würde das auch gerne Mal probieren, du ihn nach 2 kurzen Testläufen anmeldest, und der Knirps dann im dichten Feld unter Tausenden doppelt so großer Läufer_innen 5 Kilometer durch die Straßen deiner Stadt läuft, ganz für sich alleine, und …
… viele Minuten später lächelnd durch das Ziel läuft, dann …
… platzt du.
Das war aber nur der Anfang, denn es folgten der Bambinilauf für kleine Mädchen und ein super Lauf über 10 Kilometer, den Sandra fast aus dem Stand gelaufen ist. Drei von vier waren also schon im Ziel, bevor ich für die 21,0975 Kilometer an den Start gehen durfte.
Wir sind vier.
Es läuft.
[ EDIT: So war es dann ein Jahr später in 2016 ]
3 Kommentare
Sehr sehr sehr sehr, sehr cool!
Vielen Dank :)
Genial! War ein echt gelungener Tag. Rundum cool.