Berlin-Marathon 2019 – eine Vorfreude in blanken Zahlen
Du wolltest immer mal für einen Marathon trainieren, hast aber keine Ahnung, was zu tun ist. Machen wir es kurz, lassen wir den ganzen aeroben Schnick-Schnack weg. Auch auf das ganze Ernährungsgefasel verzichten wir. Fettstoffwechseltraining und Koordinationsübungen werden genauso überschätzt wie Trainingslager und eine ordentliche Laufanalyse. Intervalle und Fahrtspiele sollen über das wesentliche ebenso hinwegtäuschen, wie Vorfußlauf und Powerriegel.
Wie im wirklichen Leben: Es sind immer nur Nerds, die meinen, dass es auf solche Details ankommt.
Wie im wirklichen Leben zählen doch nur Zahlen, Daten, Fakten …
Heute ist der 27.09., 2 Tage vorm Berlin-Marathon 2019.
Ich sitze im Zug nach Berlin, im ICS 843, Wagon 31, Platz 65. Wir fahren derzeit 175 km/h, sind laut Infoscreen um 10:10 Uhr da. Jetzt ist es 8:49 Uhr.
1 Plan, 12 Wochen
Vor genau 79 Kalendertagen habe ich am 08.07. mein 12-wöchiges Training gestartet, bin in den 79 Tagen genau 58 Mal gelaufen, also an 3 von 4 Tagen im Schnitt. Oder jeden 4. Tag mal eine Pause, sozusagen.
Sonntags waren immer die langen Läufe und der längste davon zog sich hin auf 33,10 Kilometer, für den ich am 08.09. genau 3:11:46 gebraucht habe, also eine durchschnittliche Pace von 5:48 geknattert bin. Übrigens mit einer Schrittfrequenz von 169 Fußabdrücken pro Minute.
Der kürzestes Lauf war ein Tag vorm Testlauf beim Halbmarathon an der Aabachtalsperre am 18.08. Tags zuvor bin ich nur 4,6 Kilometer gelaufen, in lockeren 24:31 mit einer sportlichen Pace von 5:20.
Summa summarum
In den 58 Lauftagen sind insgesamt 693,3 Kilometer zusammengekommen, im Schnitt also 11,95. Den Wanderweg von uns zuhause bis zum Brandenburger Tor mit 368 Kilometern hätte ich somit fast zweimal geschafft. Von Bielefeld aus allemal.
Auf den Beinen war ich in Summe 65 Stunden und 34 Minuten. Somit habe ich im gesamten Durchschnitt je 1 Kilometer genau 5:40 Minuten verplempert. Ich hätte mich in der gleichen Zeit auch auf die faule Haut legen können. Den Kinofilm Marathon Man mit Dustin Hoffmann hätte ich mir 31 Mal anschauen können, statt dessen. Oder nochmal Breaking Bad. Komplett.
Auf dem Sofa hätte ich allerdings nicht die 42,639 Kalorien verbrannt, die auf der Strecke geblieben sind, eher ist das Gegenteil ist zu vermuten. So habe ich also immerhin den Bedarf von 15 bis 20 Tagen eines Mannes meines Alters und Statur verbrannt, wenn mich das Internet nicht angelogen hat.
Mein Herz, mein Herz
Mein Herz hat mit 128 Schlägen pro Minute einmal kaum etwas zu tun gehabt, aber ein anderes Mal mit 187 Schlägen pro Minute wirklich alles geben müssen. Bis ans Limit. Im Gesamtdurchschnitt hat es für mich treu und ohne eine einzige Unterbrechung 137 Mal in der Minute gepumpt. Über die komplette Strecke und Dauer also sage und schreibe 538.958 Herzschläge. Dafür ein dickes Danke, dafür bitte einen herzlichen Zwischenapplaus.
Und die Beine? Die hatten wir zwar schon oben mit 169 Schritten je Minute, aber auch hier möchte ich die große Zahl von insgesamt 664.846 Schritten nicht ungenannt lassen. Die haben damit ein wenig mehr hinter sich als mein Herz, aber dafür durften die auf der Strecke auch ab und zu mal eine Pause machen. Für Pipi und Selfie.
Elevation!
Es ging aber nicht nur vorwärts. Auch auf und ab. In Summe bin ich auf Steigungen 2.961 Meter hoch hinaus gelaufen. Das entspricht fast 20 Mal den Kölner Dom oder mehr als 30 Mal unserem Paderborner Dom. Für alle aber, die eher um Kirchen herum laufen als in ihnen aufzusteigen: Wenn du 16.450 ganz gewöhnliche Treppenstufen hinter dir hast, biste auch 2.961 Meter höher als vorher. Kann man in 65 Stunden, oder?
Runter ging es übrigens auch wieder, sonst wäre ich ja nicht hier. Warum das aber sogar 3.085 Meter nach unten ging, also 124 Meter mehr als rauf, das Rätsel überlasse ich euch. Ich weiß die Lösung ja.
MEGA!
Beim Laufen, das wissen wir ja alle, geht es einzig und allein um persönliche Bestzeiten, Platzierungen in der Altersklasse, um Urkunden, Medaillen nur um dich, um die Geschwindigkeit, um die Pace.
Meinen schnellsten Trainingslauf bin ich tatsächlich vorgestern erst gelaufen, am 25.09., als ich nochmal für 5 Kilometer meinen Rhythmus für den Marathon finden sollte. So bin ich 5 km mit einer Pace von 4:35 geballert. Soviel zum richtigen Rhythmus.
So schnell darf es Sonntag nicht werden. Kann ich auch nicht. So einfach ist das.
Aber ich möchte übermorgen auch nicht so langsam sein wie bei meinem drömeligsten Trainingslauf am 21.07. Als ich unter der gleißenden kroatischen Sonne auf Krk 22 Kilometer gelitten aber geliefert habe. Je Kilometer habe ich dort lange 6:33 Minuten geschwitzt.
Die letzten drei historischen Zahlen gibt es nun: Getrippelt bin ich am 15.07. ebenfalls auf Krk, mit einem Lauf bei dem dem ich alle 91 cm einen meiner Füße aufgesetzt habe, weitestgehend abwechselnd. Tripp, Trapp, Tripp, Trapp. Besonders ausladend war der eben schon erwähnte Rhythmus-Lauf vorgestern, mit 119 cm je Schritt. Ein Unterschied der Schrittlänge von 30 cm deutet fast darauf hin, dass ich alles über Nextlevelrunning vergessen habe. Hmm. Über alle Läufe hinweg legte ich je Schritt im Schnitt 106 cm zurück, etwas mehr als 1 Meter.
Die Aussicht für die nächsten Tage
Regen soll es. Jetzt ist es raus. Soviel zum Wetter. Zurück zum Eigentlichen.
Hand auf Herz: Ich gehöre schon zu denen, die Sonntag nicht nur ankommen wollen. Den ganzen Zahlensalat da oben habe ich in den vergangenen 12 Wochen natürlich veranstaltet, weil ich gut vorbereitet an den Start und gut gelaunt durch das Ziel sausen möchte. Ohne Schmerzen, ohne Hammermann und ohne dabei Zeit zu verschenken. Je früher ich im Ziel bin, umso eher bin ich dann ja auch fertig damit. Dann habe ich ja auch später mehr Zeit zum Ausruhen.
So wie es aussieht, werde ich Sonntag bei oben genannter Schrittlänge ca. 39.806 Schritte machen, um die 42,195 Kilometer zurückzulegen. Und täte ich den Marathon im Trainingsdurchschnitt laufen, wäre ich nach 4 Stunden und 4 Minuten im Ziel. Allerdings auch ziemlich leberwurst.
Denn das wäre das gurkigste von 4 Szenarien.
Szenario #1 – Das Leberwurst-Szenario
Irgendwas geht in oder von mir kaputt, ich quäle mich trotzdem ins Ziel und auf der Uhr steht irgendwas über 3:59:59. Wieviel drüber wäre dann auch egal. Ich bin dann leberwurst.
Szenario #2 – Das Kontinuum-Szenario
Sonntag ist mein vierter Marathon, jedes Jahr seit 2016 einer. Köln, Köln, Berlin und übermorgen eben wieder Berlin. Köln 2016 war mit 3:35:30 einfach sensationell, und seitdem bin ich es immer etwas langsamer angegangen. Hört sich fast schon absichtlich an, aber tatsächlich weiß ich heute, 3 Jahre später, echt nicht, wie mir diese stolze Zeit beim Debut gelingen konnte. Kurzum: Das Gesetz der Kontinuität täte bedeuten, dass es am Sonntag wieder etwas langsamer wird und auf ein Finish irgendwo zwischen 3:48:18 und 3:59:59 hinausliefe. Um mir das dann schönzureden, bräuchte ich schon echt gute Argumente.
Szenario #3 – Das Berlin-Comeback-Szenario
Ich mache es ganz kurz: Das o.g. Kontinuum wird durchbrochen, es setzt sich nicht fort, und ich kann mein Ergebnis von 3:48:18 aus 2018 in Berlin verbessern. Happy me, das wünsch ich mir. Mehr nicht. Echt jetzt. Aber …
Szenario #4 – Das Unfuckingfassbar-Szenario
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es Wunder gibt. Gelänge es mir, Sonntag meine persönliche Bestzeit von 3:35:30 zu knacken, wäre das genau eins, ein Wunder. Ein Wunder, für das es keinen Zauberer braucht, denn der Trainer hält das nach der tüchtigen Vorbereitung für realistisch, für machbar. So weit, so gut. Denn genau dasselbe hat er im letzten Jahr auch gesagt, und da hätte ich ab Kilometer 26 alles dafür getan, einem Zauberer zu begegnen.
Der kam aber nicht, und so blieb das Wunder aus.
Das war mir egal, das wäre Sonntag auch egal.
Wunder können nämlich auch echt sehr, sehr anstrengend sein.
Hey, Zahlen bitte!
Mittlerweile ist es 16:47 Uhr, bis auf 2 Minuten genau 8 Stunden nachdem angefangen habe, diesen Post im ICE zu schreiben. Irgendwo da vorne gab es eine Pause, denn so ein Post dauert seine Zeit während ein ICE durch die Felder schießt und plötzlich in Berlin ankommt.
In der Zwischenzeit habe ich meine Startunterlagen abgeholt. Startnummer 19537. Bin U-Bahn und S-Bahn gefahren, bin an der Spree entlang spaziert, habe einen Falafel-Halloumi-Teller genossen und mir ein Unisex-Regencape bei Rossmann gekauft. Keine Werbung, dafür ist das Ding viel zu hässlich, billig und plastik. Aber die Prognose für Sonntag gab dem nun mal Sinn.
Ich sitze aktuell in der Lobby des Motel One am Hauptbahnhof, habe ein Hefeweizen ohne Alkohol gekauft und verbraucht, sowie fast den ganzen Akku meines Mac Books. 6% hat er noch.
Wir müssen zum Ziel, erm zum Ende kommen.
Eine runde Zahl möchte ich zuletzt noch loswerden, aber in Worten.
Tausend Dank an die beiden, die es mir überhaupt wieder möglich gemacht haben, übermorgen den Start des Berlin-Marathons 2019 mitzuerleben, als echt gut vorbereiteter Hobbyläufer. Unter – so wie ich heute gehört habe – mehr als 47.000 anderen. Juhu!
Tausend Dank an meinen Freund und Trainer, der mir seit 2015 meine Trainingspläne schreibt, Trainingsgruppen leitete und das traditionelle Trainingslager auf Texel organisiert.
Tausend Dank und einen dicken Kuss an meine Frau, die selber auch weiß wie es ist, Sachen mit ganzem Herzen zu machen. Die außerdem die 42,195 Kilometer in Berlin abgehakt hatte, als ich noch dachte, der Köln-Marathon sei groß. Eine, meine Frau, die mir bei diesem wertvollen Spaß für meinen Körper, meinen Geist und meine Seele den Rücken freihält und stärkt, wie ich es mir besser nicht vorstellen könnte.
1 Traum.
Wie gesagt, alles nur Zahlen.
2 Kommentare
Ich bin einfach nur gerührt, etwas nah am Wasser gebaut, das treibt mir ne kleine Träne ins Auge, nicht mehr und nicht weniger! Viel Erfolg mein Freund, mehr konnte ich nicht für dich tun! Gruß dein Coach, und natürlich Freund, man man man es ist doch nur ein Lauf, aber was macht das mit einem?!?! Danke!!! Gruß Axel
So schön und authentisch, Du ? Lass den Hammermann woanders laufen. Das wird ??