In genau 59 Minuten ist Anstoß in Aue. An diesem vorletzten Spieltag der 2. Bundesliga der Saison 2013/14 kann es bereits gelingen, dass der SC Paderborn 07 den direkten Aufstieg klarmacht. Ein wenig Unterstützung des Spiels Energie Cottbus gegen SpVGG Greuther Fürth vorausgesetzt.
Vor wenigen Minuten stand dann meine Frau plötzlich in meinem Sören-Brandy-Gefächtnis-Trikot des SC Paderborn 07 vor mir. Zum ersten Mal. Sie möchte heute das spannungsgeladene Auswärtsspiel mit uns kucken. Zum ersten Mal.
Meine Frau in meinem Sören-Brandy-Gedächtnis-Trikot
Alle drehen durch
Dass mein Herz heute heftig für den SC Paderborn 07 schlägt, ist kein Geheimnis. Aber der Gesamteindruck mag täuschen: Ich war lange kein großer Fußballfan und habe von der Bundesliga nie viel mitbekommen. Erst über einen kleinen Umweg und dank der Tatsache, dass unser Sohn sich vor ein paar Jahren plötzlich total in den Fußball verliebte sprang der Funken über. Ich kenne nicht einmal das viel besungene Hermann Löns Stadion, in dem der SCP bis 2008 spielte.
„Ich bin ein blau-schwarzes Greenhorn.“
Andererseits: Seit 2009 bin ich echt Fan und Dauerkartenbesitzer.
Jetzt gehört wirklich nicht mehr viel dazu, und ich darf also als Fan dabei sein, wenn der SC Paderborn 07 das Historische gelingt, er Fußballnaturgesetze fast aushebelt und heute oder am kommenden Sonntag in die 1. Bundesliga aufsteigt. Schon seit Wochen läuft es darauf hinaus und immer wieder wage ich zu behaupten:
„Bald kommt der Robben zu uns und schießt hier alles kaputt.“
Jetzt, so unmittelbar vor der Sensation springen plötzlich alle an. Fahnen des SCP überall, Facebook ist blau-schwarz, Trikots in der Fußgängerzone und vor allen Dingen: Alle, wirklich alle in unserer Stadt kennen kaum ein anderes Thema.
Ganz ehrlich: ein wenig sticht das. Wieso kommen die erst jetzt auf den Trichter, dass Fußball auch in Paderborn Spaß machen kann?
Da flüstert der kleine Teufel, der sich für den besten, einzigen und wahren Fan hält, fies und leise in Dein Ohr:
Jetzt, bei dem großen Erfolg sind plötzlich alle dabei. Jetzt meint jeder, er hätte den Fußball erfunden und eine Dauerkarte für die kommende Saison ist natürlich Pflicht.
Jetzt tragen Männer blau-schwarze Schals, die sie verkrampft genau so zu binden versuchen, wie sonst ihre Krawatten. Am Abend wird der Schal dann wieder an den Nachbarn zurückgegeben. War nur ausgeliehen.
Jetzt stehen beim Heimspiel plötzlich Autos auf dem Parkplatz, die eine Woche vorher noch lieber zum Sonntagskuchen gefahren oder auf dem Domplatz geparkt wurden. Man weiß ja nie, wer aus der Kirche kommt und Nummernschilder studiert.
Jetzt versuchen Leute Tische in Sky-Bars zu reservieren, in die sie bis dato keinen Fuß gesetzt hatten. Kein Wunder, bei dem Volk, das dort sonst vor der Tür steht. Das sind komische Typen.
Jetzt versuchen Paderborner Unternehmen sich mit Fahnen, Wimpeln und dergleichen zu schmücken und hoffen, der wohlgesonnene Paderborner dankt es ihnen und kauft ein Auto, Brot oder eine Schrankwand mehr.
Ach ne, der mit der Schrankwand war ja immer schon dabei.
Jetzt kommen plötzlich Leute ins Stadion, die es für ein kulinarisches Abenteuer halten, mal eine Currywurst zu essen, denn schließlich kommt da keiner mit ’ner Parmesanreibe so groß wie eine Pylone an den Tisch und reibt, bis man ganz leise und dankbar nickt. Oder mit einem einzigen Finger winkt.
Keiner von den Neuen erinnert sich aber vermutlich an meinenSören #Braaaaaaaaaandy Brandy, der michuns den SCP 2012 superleider verlassen hat.
Das ist ein fieser Trick Deines kranken Egos
So wenig, wie viele von den Neufans sich an Sören Brandy erinnern, so wenig kenne ich auch nur einen einzigen Ex-Spieler, Ex-Trainer oder Ex-Mitmacher vor 2008.
Es ist Quatsch, wenn Du zwischen echten und unechten Fans unterscheidest. Es ist Unfug, wenn Du eitel und zynisch behauptest, die anderen hätten weniger Recht an der Freude über den vermeintlichen Triumph, weil Du ja schon ewig dabei bist. Es ist Quatsch, wenn Du etwas verteidigst, das nie Deins allein war.
Es ist richtig
Es ist richtig und gut so, dass die Anhänger und Unterstützer, dass die Interessierten und Mitfieberer immer mehr werden. Es ist richtig, dass die Fans immer mehr werden.
Vielmehr wurde doch immer wieder geklagt, dass das allgemeine Interesse enttäuschend niedrig sei, dass das Bewusstsein des allgemeinen Paderborners für unser mediales Zugpferd absolut zu wünschen übrig ließ und dass es endlich Zeit wäre, dass alle(!) sich hinter unseren erfolgreichen Verein stellten.
Nun ist es auf dem Weg und es ist eine große Freude, dass Paderborn jeden Tag ein wenig blau-schwarzer wird.
4. Mai 2014 15:27 Uhr
CUT // In 3 Minuten ist Anstoß und ich mache eine Schreibpause. // Sobald es hier weiter geht, ist vielleicht schon ein Wunder passiert. Oder etwas ganz anderes. // Olé, olé, olé, nur der SCP!
4. Mai 2014 16:26 Uhr
Halbzeitpause.
Der SC Paderborn 07 führt mit 1:0, doch SpVGG Greuther Fürth führt ebenfalls 2:0. Es bleibt spannend. Es bleibt aber vor allen Dingen gut.
4. Mai 2014 20:51 Uhr
Der verdiente Auswärtssieg mit 2:0 gegen Aue liegt nun ein paar Stunden zurück und der SCP hat sich den 2. Tabellenplatz gesichert. Bis zum nächsten Sonntag.
Greuther Fürth bleibt also mit 2 Punkten Abstand direkter Verfolger auf dem 3. Tabellenplatz und mit besserem Torverhältnis noch dazu in der Lage, den SC Paderborn 07 am letzten Spieltag in einer Woche auf den Relegationsplatz zu verweisen. Wenn der SCP patzt.
7:2
Es gibt am 11. Mai nur 2 von 9 möglichen Szenarien, bei denen der direkte Aufstieg doch noch flöten geht:
Der SCP verliert gegen Aalen und Greuther Fürth gewinnt gegen Sandhausen.
Der SCP spielt Unentschieden gegen Aalen und Greuther Fürth gewinnt gegen Sandhausen.
Alle weiteren 7 Szenarien sind der sichere Aufstieg. Insbesondere durch einen Heimsieg beim letzten Spiel in Paderborn ist es total egal, wie Greuther aus deren letztem Spiel geht. Dann steigen wir auf.
Dies ist mein Appell an alle Fans von gestern und heute
Wer auch immer morgen auf den Erfolgszug des SC Paderborn 07 springen mag und mitfiebern und mitfeiern will, ist in jedem Fall ein Fan mehr.
Wer auch immer jetzt für sich feststellt, dass in unserem Stadion mehr geboten zu werden scheint, als nur ein Fußballspiel, ist in jedem Fall ein Zuschauer mehr.
Wer auch immer mit neuem Stolz auf den Profiverein einen Aufkleber aufs Auto klebt, eine Fahne ins Fenster hängt oder ein Trikot beim Joggen trägt, sorgt für einen blau-schwarzen Farbklecks mehr.
Deswegen muss man ja nicht sofort jedes Lied mitsingen, das uns dieser Tage begegnet, oder?
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Wie die Geschichte des SC Paderborn 07 in der kommenden Saison auch weitergehen wird: Den wahnsinnigen Erfolg von heute hatte Null-Komma-Keiner(!) auf dem Schirm. Dieser Teil der Geschichte ist für alle neu. Für alle und für jeden.
Das macht sehr große Lust auf ein ebenfalls ganz nigel-nagel-neues Wir-Gefühl, das in diesen Tagen bereits entsteht.
Die Feststellung, wem das alles in Gänze zu verdanken ist, überlasse ich blau-schwarzer Grünschnabel und Fußballgurke lieber den Experten.
Aber vermutlich hat das wohl auch mit den jeweils 11 begeisterten und begeisternden Akteuren auf dem Platz zu tun, die da seit Monaten jedes Wochenende über die volle Zeit gnadenlos mit sich selbst um Punkte kämpfen, als wäre es alles andere als ein Spiel.
Und ein Trainer André Breitenreiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Ja, der sollte vielleicht als erster genannt werden, wenn es darum geht, den Magier unseres ostwestfälischen Märchens zu suchen.
