Eine Utopie des Netzes
Es wird nicht unbedingt besser, aber anders und vielleicht auch besser
Ich teile eine Utopie. In den vergangenen Monaten reiste ich durch mein soziales Netz, online wie offline, konsumierte Informationen, führte Dialoge und vertrete nun immer lauter und überzeugter eine Utopie, die der ferne Leuchtturm für eine andere Welt ist, die vielleicht sogar echt besser ist als diese.
Vorab setze ich mir aber gerne einen Helm gegen Kritiker und Gegenreden auf, die es geben soll, kann, darf und muss:
Ich bin weder Wissenschaftler noch Analytiker, ich bin im Zweifel lediglich Beobachter und Kombinierer. Genauso naiv wie idealistisch, genauso klug wie einfach.
Ich habe lediglich eine Meinung zu der Piraten-Partei und den anderen, zur Demokratie, zu Facebook und Jesus.
Und das ist mein Bild
Früher bedurfte es der Gelehrten, die den Menschen lehrten. Es bedurfte die alles viel wissenden, die ihr Wissen dann lehrten und teilten. Heute haben alle viele Zugriff auf alle viel Informationen und können, aber auch müssen sich selbst informieren. Eigenverantwortung.
Am 11.11.2011 endete nach so mancher Darstellung das Zeitalter der Fische. Das Zeitalter des Wassermanns ist angebrochen. Andere sagen, das passiert erst am 31.12.2012. Gemessen daran, dass so ein Zeitalter allerdings immer so um die 2.000 Jahre überdauert, spielen die paar Tage Unterschied keine Rolle. Es passiert quasi jetzt.
Mit dem Wechsel verbindet man den Abschied vom einem Zeitalter der Fische, das für Hierarchien, Maschinen und Wissen steht stand, ebenso wie für Appelle wie: „Wachse und werde groß!“ oder: „Sammle Wissen!“
Das dämmernde Zeitalter des Wassermanns, das übrigens auch ein zentrales Thema im Musical Hair spielt, steht hingegen für Individualität, Spiritualität und Eigenverantwortung. Für Selbst-Werdung.
„Sein oder nicht sein. Wer bin ich?“
(Zeitalter der Fische)
„Sein, um zu sein. Ich bin ich.“
(Zeitalter des Wassermanns)
Die Welt nimmt Abschied von der Notwendigkeit von Führungspersönlichkeiten und Idolen. Die brauchen wir nicht mehr. Also bald. Es ist gut, jemanden zu haben, der den Weg kennt oder auch sagt, wo es lang geht. Aber eben auch nur so lange, bis man es selber (besser) weiß. Damit ist der einzelne zwar heute immer noch total überfordert, aber das System hilft.
Die Welt nimmt Abschied von der Notwendigkeit von Führungspersönlichkeiten und Idolen.
Die Welt sagt ‚Hallo!‘ zu Führungssystemen und dem sozialen Netz. Und das soziale Netz heißt (Welt)gesellschaft. One world.
Es ist gut, dass es Personen und Figuren gab, denen wir folgen durften, und die bereit waren, uns einen Weg aufzuzeigen und am Ende sogar oft bereit waren, sich für ihre Ideale und für uns zu opfern. Das waren Helden wie Steven Biko, Martin Luther King, Jesus Christus, Nelson Mandela, Mahatma Ghandi uvm.
Diese trugen die Fackel der Liebe und des Friedens und Millionen folg(t)en von Herzen gern.
Die Schattenseite waren die gefährlichen Idole der dunklen Seite der Macht. Darth Vader und der Imperator sind kleine Lichter im Vergleich zu den tatsächlichen Verbrechern an der Menschheit, die lebten und leben und denen leider auch viele Anhänger von Herzen gern folg(t)en. Zwar tragen deren Gefolgsleute vergiftete Herzen, aber es sind Herzen, die auch sehr hoch schlagen.
System statt Idol
Wir brauchen Euch nicht mehr. Weder die einen noch die anderen. Und damit verliert ihr Eure Macht. Die Macht wir dem Einzigen entzogen und wandert zur Menge der Einzelnen. Zum Volk. Zur Gesellschaft. Zum Netz.
Das Netz hat überholt.
Das Netz ist schnell. Das Netz ist engmaschig. Und das Netz entzieht sich der Kontrolle des Einzigen, besteht es doch aus der Synthese der Einzelnen.
Beispiel ‚Piraten-Partei‘
Die Piratenpartei startet 2012 in Deutschland durch und viele staunen, wie das mit vermeintlich so wenig Inhalt möglich sein kann. Ich behaupte, dass das Urmoment für deren verdienten Erfolg darin besteht, dass viele Menschen resp. Bürger spüren, fühlen und wahrnehmen, dass die Piraten einen grundlegenden Unterschied zu den etablierten Parteien ausmacht. Sie folgen einem grundsätzlich anderen Paradigma.
Die Piraten bedienen die Demokratie, sie bedienen sich nicht bei ihr. Die Piraten setzen nicht auf die schillernde Figur, sondern auf die schillernde Idee. Die Piraten wollen keine Macht, sondern machen. So nehme ich das wahr.
Ohne Zweifel haben die jungen Piraten gerade mal eine Generation Vorsprung vor den anderen. Größer ist der Unterschied nicht. Und dieser kleine Abstand ist nicht annähernd groß genug, um den Unterschied perfekt zu machen. Die Piraten werden natürlich immer wieder daran scheitern, dass das Zeitalter des Wassermanns quasi erst am Anfang steht. Und sie werden von den letzten Fischen eingebremst werden. Aber sie sind der Ursprung für einen politischen Systemwechsel und der werden sie für immer bleiben.
Es hat geschellt und gleich ist Schule aus.
Das gilt für Berlin genauso gut, wie für Europa, Nord-Afrika, Russland, China und die ganze Welt.
Es ist vorbei, liebe Machtmenschen. Hoffentlich macht ihr jetzt Eure Hausaufgaben. Falls Ihr sie überhaupt versteht.
Wenn es heute in den Talkshows um das Phänomen ‚Piraten‘ geht, sprechen die Rehaugen der weitestgehend ahnungslosen „alten“ Politiker und Fortschrittsverweigerer Bände. Sie wissen es einfach nicht besser. Aber das müssen sie auch nicht.
Das Team und der Kapitän
Siegen wird das Team, in dem jeder im und für das Team arbeitet. Wer mit oder über dem Team arbeitet, ist hingegen quasi draußen und reißt das Team damit auseinander. Auch im Fußball hat die Zeit der notwendigen Einzelathleten geschlagen. FC Barcelona und andere Teams beweisen, dass das System immer wichtiger ist als der Star. Im System gibt es weiterhin Stars, aber ein Team ohne Star hat beste Chancen. Ein Star ohne Team ist chancenlos.
Der Kapitän hat im wesentlichen nur noch eine Aufgabe. Er prüft und reguliert die Frage, ob alle für den einen, für das eine, für das System agieren. Er läuft nicht länger vorne weg und schreit Kriegsparolen. Er steht in der Mitte und überblickt. Er ist Klebstoff der Mannschaft, tadelt Diven und pusht das Ganze. Und wenn das Tor fällt, haben es irgendwie alle geschossen.
Im Norden Afrikas ist Frühling
Während der Demonstrationen und dramatischen Auseinandersetzungen in 2011 auf dem Tahrir-Platz in Kairo habe ich das Geschehen immer wieder auf Twitter verfolgt. Das war Atem-beraubend.
Der Arabische Frühling ist keine Illusion. Völker gingen und gehen täglich auf die Straße, setzen sich der mitunter brutalsten Gewalt des Staates aus und riskieren ihr Leben. Ihr jeweiliges, einzelnes, einziges und individuelles Leben. Und am nächsten Tag wieder. Falls noch möglich.
In Ländern wie Tunesien, Ägypten und Jemen sind erste Schritte getan. In Ländern wie im Iran oder Syrien leidet es noch. Aus meiner fernen Distanz mit ein wenig Internet, Tagesthemen und Zeitung ausgestattet, traue ich mich dennoch für die bisher unterdrückten Menschen zu hoffen. Der Weg weist Richtung Demokratie.
Diese Demokratie will gelernt werden, und geben wir den Menschen in anderen Ländern die selbe Zeit wie der USA oder Europa, die selben 70 Jahre wie Deutschland, dann traut man sich doch, zu hoffen, oder? In einigen arabischen Länder war es vor wenigen Jahren, vor den Stürzen noch deutlisch schlimmer als heute. Heute ist es zum Teil immer noch schlimm. Aber besser.
Und der Weg geht Richtung Demokratie. Langsam, aber sicher.
Zugrunde liegt der unabwendbare Kontrollverlust der Diktatoren, der Despoten.
Deren Völker sind hochfrequent und engmaschig untereinander vernetzt und dieses System ist schneller als jeder Schlägertrupp. Und dieses System braucht keine Idole mehr, die somit auch nicht länger gejagt, mundtot oder tot gemacht werden können. Dieses System lässt sich auch nicht mehr abschalten.
Das Netz kontrolliert und niemand kontrolliert das Netz.
Schwarmintelligenz, das wissende Feld und unangenehme Wucherungen
Wir gehen in diesen 2.000 Jahren den Weg von einem (bisher zu Recht) zentral geführten System zu einem Wissenden Feld.
Wir gehen den Weg von einer (von oben) geordneten Gesellschaft zu einem (unten) Handelnden Netz.
Wir gehen den Weg von ‚Ich und Ihr‘ zu ‚ich und wir‘.
Wie ein neuronales Netz (z.B. das Hirn) vernetzt sich derzeit die Menschheit. Jeder von uns ist darin eine kleine, aber System-relevante Zelle. Wenn wir Zellen uns dann engmaschig vernetzen, entsteht das Wissende Feld, das bis heute noch eher im Spirituellen zuhause war, aber nun sichtbar wird.
Wenn sich die Weltgesellschaft so vernetzt, dass beliebige Informationen zwischen uns schneller fließen können als die Feuerwehr erlaubt, entsteht aus uns ein Weltgehirn. Ein Zellgeflecht, das denkt, träumt, kreiert, entscheidet, analysiert, spinnt und irgendwie alles weiß was es zu wissen gibt.
Ein Gehirn, das glaubt.
Wissen wird zu Glauben. Oder umgekehrt.
Ein Beispiele dafür ist die Homöopathie.
Wer weiß, wer weiß ..?
Das entstehende Wissende Feld, das Weltgehirn ist natürlich nicht automatisch gut, richtig oder kerngesund. Im schlimmsten Fall fängt es sich sogar einen Tumor, eine Ansammlung schlimmkranker Zellen, die sich vermehren möchten. Doch daran wird es nicht krepieren.
Es reguliert, heilt sich durch die vielen weiterhin gesunden Zellen (also Menschen) immer wieder selbst.
Auch wird es wieder an anderer Stelle krank.
Doch daran wird es nicht krepieren: Es wird keine Diktator-Zelle mehr geben, die Millionen andere kaputt macht. Denn jede kranke Zelle hat dann gesunde, direkt benachbarte Zellen zur Seite, die sich Zeit für sie nehmen werden. Das heilt. Und gemeinsam werden sie weder total gut noch absolut böse, sie werden einfach nur ganz.
Das ist meine Utopie.
Ein Kommentar
Über Facebook wurde mir dazu noch dieser Beitrag empfohlen: http://www.sueddeutsche.de/kultur/netz-depeschen-vom-kleinen-daeumling-1.1080891